Erste macht’s wie die Profis

Erleichterung und Freude über den ersten Heimsieg 2010/2011

Erleichterung und Freude über den ersten Heimsieg 2010/2011

An diesem Sonntag stand das Nordderby in der 1. Bundesliga an: Die Rothosen empfingen den VfL Wolfsburg mit Ex-HSVerin Anna Blässe. In der Liga war der HSV in den letzten vier Partien beider Teams unbesiegt, lediglich im Pokal unterlagen sie in der vergangenen Saison mit 0:3. Die letzte Ligapleite gegen Wolfsburg gab es zuhause im Frühjahr 2008. Allerdings war da auch noch die andere Statistik: Saisonübergreifend lag der letzte Heimsieg fünfeinhalb Monate zurück, am 18. April gegen Saarbrücken. Danach gab es in 4 Spielen 3 Niederlagen, nur einen Punkt. Beiden Teams fehlten die schweizerischen Nationalspielerinnen, Ana Maria Crnogorcevic und Martina Moser – sie spielten zeitgleich in der WM-Relegation in Dänemark.

Ex-Nationalspielerin Navina Omilade bestaunt Kim Kuligs Akrobatik

Ex-Nationalspielerin Navina Omilade bestaunt Kim Kuligs Akrobatik

Von Beginn an betrieb der VfL Wolfsburg gemächlichen Spielaufbau, schob sich den Ball vor dem Strafraum in der Viererkette quer von links nach rechts und von rechts nach links, war auf Ballhalten bedacht und versuchte, den HSV einzulullen, um dann mit einem Pass in die Tiefe für Gefahr zu sorgen. Die Platzherrinnen schoben sich daraufhin vorsichtig nach vorn, versuchte gelegentlich früh zu stören. So entstand auch die erste Chance, als Kim Kulig und Aferdita Kameraj, heute von Beginn an Sturmspitze, auf die defensive Zentrale Druck ausübten und einen Fehler von Anna-Kaisa Rantanen vor der Abwehr provozierten. Kulig eroberte den Ball, spitzelte ihn zu Kameraj, und nach deren Steilpass tauchte Kulig im Strafraum frei vor Alisa Vetterlein auf. Ihren Schuss jedoch konnte die Torhüterin des VfL parieren (13.).

Saländer wird beim Kopfball von Chandraratne unterlaufen - Freistoß!

Saländer wird beim Kopfball von Chandraratne unterlaufen - Freistoß!

Die Hanseatinnen waren bemüht, sich nicht mit Abtasten aufzuhalten und das Spiel schnell zu machen. Doch spielerische Hightlights waren in den ersten 25 Minuten Mangelware. Dafür war Wolfsburg auch viel zu harmlos. Exemplarisch dafür stand der erste Schussversuch der Gäste in der 21. Minute. Zsanett Jakabfi setzte sich rechts durch und legte vor den Strafraum zurück, aber Andrea Wilkens schoss aus 18 Metern so weit vorbei, dass der Ball erst an der Strafraummarkierung die Torauslinie überquerte.

Unter den Zuschauern: Vorstandschef Bernd Hoffmann, Kollegin Katja Kraus und Ex-Aufsichtsrat Gerd Hein (im Hintergrund)

Unter den Zuschauern: Vorstandschef Bernd Hoffmann, Kollegin Katja Kraus und Ex-Aufsichtsrat Gerd Hein (im Hintergrund)

Doch so langsam kam der VfL besser ins Spiel. Auslöser war ein Freistoß. Diesen brachte Wilkens von rechts herein an den zweiten Pfosten. Dort köpfte Ivonne Hartmann zurück, Rantanen versuchte es flach direkt aus 17 Metern, aber Bianca Weech, die wieder das HSV-Tor hütete, war unten (24.). Wolfsburg erarbeitete sich mehr Spielanteile jenseits der Mittellinie, während dem HSV ein spielerisches Mittel fehlte, um sich wirkungsvoll in Szene zu setzen. Ihre oft eingesetzten langen Bälle waren zu einfach gestrickt, um die Wölfinnen in Schwierigkeiten zu bringen.

Carolin Simon bei einem der vielen langen Bälle, die wenig bewirkten

Carolin Simon bei einem der vielen langen Bälle, die wenig bewirkten

Wenn etwas ging, dann mit schnellen Spielverlagerungen. Wie nach 29 Minuten. Kulig spielte kurz hinter dem Mittelkreis nach links auf Silva Lone Saländer, Kameraj startete durch und bekam den Ball in den Lauf gespielt. Frei vor Vetterlein ging sie rechts vorbei, wurde dabei jedoch von Vetterlein, die sich bei ihrem Eingreifen verletzte, gestört. So konnte Verena Faißt noch zurücklaufen und Kamerajs Schuss mit der Hüfte blocken. Den Abpraller konnten Zweigler und Kameraj nicht nutzen, holten immerhin aber einen Eckball heraus. Dass die beiden HSVerinnen nicht mitbekamen, wie Vetterlein auf dem Rasen liegen blieb, und weiterspielten, brachte die VfL-Bank auf die Palme.

Bei dieser Aktion gegen Kameraj verletzt sich Vetterlein - Kameraj vergibt die Chance

Bei dieser Aktion gegen Kameraj verletzt sich Vetterlein - Kameraj vergibt die Chance

Die Rothosen hatten leichte Vorteile. Kulig passte den Ball in der 34. Minute rechts auf Kameraj und startete durch, Kameraj chippte es wieder in die Mitte, doch trotz freier Bahn verstolperte die Nationalspielerin diese Chance, und Vetterlein hielt den Ball. Die Schlussminuten der ersten Hälfte gehörten den Gästen. Ein einfacher langer Ball Jakabfis aus dem rechten Halbfeld kam bis ans linke Eck des Fünfmeterraums durch, dort stand Rantanen frei, dribbelte gegen Ewers und zwang Weech dann zu einer Glanztat. Der Ball blieb heiß, letztlich aber gab es nur Eckball (41.).

Vetterlein hält den verstolperten Schuss von Kulig

Vetterlein hält den verstolperten Schuss von Kulig

Zwei Minuten später lupfte Hartmann den Ball lang in den Lauf der bisher blassen Martina Müller, deren schwacher Linksschuss wehrte Weech aber ab. In der Nachspielzeit, Sekunden vor dem Halbzeitpfiff, passte Müller rechts lang auf Jakabfi, Simon trat am Ball vorbei, so kam Jakabfi zur Flanke. Der verpasste Freund und Feind, doch am zweiten Pfosten rauschte Stephanie Bunte heran. Die Linksverteidigerin nahm den Ball an und schoss zum 0:1 ins lange Eck (45.+2).

Martina Müller scheitert an Bianca Weech

Martina Müller scheitert an Bianca Weech

Über den Rückstand durfte sich der HSV nicht beschweren. Ihre eigenen Chancen hatten sie nicht genutzt, und hinten wackelten sie zunehmend unter dem steigenden Druck der Gäste. Aber das Gegentor selbst war irgendwie typisch: Es fehlte die Übersicht, um zu erkennen, dass von hinten eine Angreiferin nachgerückt war, und niemand fühlte sich zuständig. Statt dessen schienen sie gedanklich schon beim Pausentee. Und man stellt sich von außen unweigerlich die Frage nach dem Grund für derartige Aussetzer. Für reine Konzentrationsmängel kommt diese Art Gegentore zu häufig vor. Mangelt es also einfach nur an Spielverständnis und Überblick, an Disziplin, Charakter, oder ist es gar eine Frage der (fußballerischen) Intelligenz, dass die Gegner immer wieder solche Geschenke bekommen?

Kameraj versucht es mit einem Torschuss

Kameraj versucht es mit einem Torschuss

Zur zweiten Hälfte brachte Achim Feifel mit Nina Jokuschies für die zwar engagierte, aber kaum ins Spiel eingebundene Antonia Göransson. Jokuschies ging rechts in die Viererkette, Jobina Lahr nach vorn auf Rechtsaußen. Und sein Team hatte sich offenbar vorgenommen, es nicht beim 0:1 zu belassen. Kulig zirkelte in der 46. Minute aus 24 Metern drüber. Zwei Minuten später lupfte Ewers den Ball Richtung Sechzehner, Kameraj nahm ihn mit der Brust an, aber ihr volley war zu schwach, um Vetterlein vor Probleme zu stellen. In der 51. Minute passte Lahr halbrechts auf Kameraj. Deren Schuss vom rechten Strafraumeck verfehlte das Gestänge aber um einiges. Und wieder nur zwei Minuten darauf setzte Kulig zu einem 15-Meter-Solo durch die Wolfsburger Defensive an, wollte dann aber auch noch an Vetterlein vorbei, und das war genau ein Schlenker zuviel.

Kulig gegen vier Wolfsburgerinnen

Kulig gegen vier Wolfsburgerinnen

Aber das Chancenverhältnis in den acht Minuten seit Wiederanpfiff täuschte etwas. Wolfsburg wurde mitnichten in die Defensive gedrückt, sondern war eigentlich die gedankenschnellere und ballsicherere Mannschaft. Dem HSV fehlte im Mittelfeld die Ordnung, sie standen zu weit von ihren Gegenspielerinnen entfernt und gewannen kaum Zweikämpfe, trotzdem gelang es ihnen, dem VfL klare Chancen zu verweigern. Achim Feifel brachte nun mit der zweiten Auswechslung Imke Wübbenhorst für Marisa Ewers – damit ging Wübbenhorst vorne rein und Kameraj zurück in die Doppelsechs. Nicole Zweigler hingegen, der kaum etwas gelang, blieb auf dem Feld, was auf der Tribüne durchaus mit Kopfschütteln und Stirnrunzeln aufgenommen wurde.

Nicole Zweigler entscheidet das Kopfballduell gegen Jakabfi für sich

Nicole Zweigler entscheidet das Kopfballduell gegen Jakabfi für sich

Nach einer Stunde bekamen die Gäste jedoch ihre klare Torchance: Müller stürmte mit Ball von halbrechts aufs Tor zu und wurde von Janina Haye von den Beinen geholt. Schiedsrichterin Christina Jaworek zeigte sofort auf den Elfmeterpunkt. Jakabfi trat an und schoss hart, aber viel zu unplatziert. Weech hatte die Ecke geahnt, wehrte zum Eckball ab und hielt ihr Team im Spiel. Manchmal ist so eine Szene ein Knackpunkt im Spiel, der die Moral des in Rückstand liegenden Teams stärkt und die des Führenden schwächt.

Bianca Weech wird zur Heldin, wehrt Zsanett Jakabfis Elfmeter ab

Bianca Weech wird zur Heldin, wehrt Zsanett Jakabfis Elfmeter ab

Doch ein Effekt blieb zunächst scheinbar aus. Dem HSV gelang es nicht, sich zwingende Chancen zu erarbeiten, vor allem wegen eines phasenweise erbärmlichen Passspiels. Es passte nichts zusammen, Möglichkeiten entstanden eher aus Zufall. Wübbenhorsts Volley aus 18 Metern war zu kurz, um Vetterlein zu prüfen (61.). Beide Teams wechselten. Beim VfL Wolfsburg kam Selina Wagner für Ivonne Hartmann, beim HSV Lena Petermann für Silva Lone Saländer, gefolgt von der nächsten Umstellung: Petermann ging in die Spitze, Wübbenhorst rückte zurück. Aber schon seit deren Einwechslung spielte die Mannschaft meistens 4-4-2 als 4-2-3-1, mit Kulig als zweiter Spitze.

Packender Zweikampf zwischen Kameraj und Jakabfi

Packender Zweikampf zwischen Kameraj und Jakabfi

Zwei Minuten nach der Einwechslung beging Wilkens in der Wolfsburger Hälfte bei einem Flankenversuch von Kulig ein Handspiel. Den folgenden Freistoß brachte Carolin Simon als Aufsetzer scharf Richtung langes Eck. Kameraj kam wegen der Umklammerung, mit der Rantanen ein Eingreifen verhindern wollte, nicht an den Ball, Kulig ließ das Leder passieren, Wilkens behinderte Vetterlein, und die konnte nichts mehr retten: Der Ball schlug ohne weitere Berührung im langen Eck ein – 1:1 (71.)! Was für ein Duseltor, ähnlich dem der HSV-Profis am Vortag, das nur zwei Spielminuten zuvor gefallen war.

Ausgleich! Carolin Simons Freistoß geht ohne weitere Berührung durch

Ausgleich! Carolin Simons Freistoß geht ohne weitere Berührung durch

Beim VfL kam eine Viertelstunde vor Schluss Leni Larsen Kaurin für Anna Blässe ins Spiel. In der 83. Minute vergab Wolfsburg die Chance zum 1:2, als Müller einen Freistoß schnell aufs Tor schoss, während Weech noch die Mauer stellte. Die aber reagierte schnell und fing das Leder. Bei dieser Aktion blieb Wagner am Hamburger Strafraum liegen, und der HSV konterte, ohne dies zu bemerken. Kulig passte rechts raus auf Jobina Lahr. Die flankte in die Mitte, dort aber stand Omilade. Die jedoch köpfte zur Mitte weg, genau zu Wübbenhorst. Der Volleyschuss wurde am Elfmeterpunkt abgefälscht und landete am linken Eck des Fünfmeterraumes. Dort war plötzlich Petermann völlig frei und traf per Kullertor ins lange Eck – 2:1! Und das exakt in der gleichen Minute, in der auch die Profis am Vortag das Spiel drehten – eine kuriose Duplizität der Ereignisse zwischen beiden Bundesligateams, die zudem beide als Tabellenachte in diesen Spieltag gegangen waren und sich beide auf Platz sieben verbesserten.

In der Schlussphase ging es nach dem 2:1 hoch her

In der Schlussphase ging es nach dem 2:1 hoch her

Denn es blieb dabei. Wolfsburg nahm Omilade raus, brachte mit Melissa Wiik eine Stürmerin und setzte nun alles auf eine Karte. Dem HSV gelang es, keine Chance mehr zuzulassen, und gerade in dieser Phase war Weech im Tor der Turm in der Schlacht. Die Hanseatinnen brachten den Sieg über die Zeit und konnten sich bei Bianca Weech bedanken, dass das Spiel nicht vorzeitig entschieden und überhaupt noch Punkte zu holen waren. Insgesamt war der Sieg nicht unverdient, aber letztlich doch glücklich. Die Begegnung insgesamt bewegte sich hingegen auf schwachem Niveau, und Wolfsburg zeigte nur ansatz- und phasenweise, dass sie diese Saison eigentlich in höheren Sphären angreifen wollten.

Matchwinnerin: Bianca Weech hielt den Sieg fest

Matchwinnerin: Bianca Weech hielt den Sieg fest

Zudem präsentierten sich die Wölfinnen nach dem Spiel als schlechter Verlierer: Co-Trainerin und Ex-HSVerin Britta Carlson verweigerte Stadionsprecher Basti Wünsch eine Stellungnahme am Mikrofon und begründete dies mit einer ihrer Meinung nach schlechten Schiedsrichterin und unfairen HSV. Dass das wohl alles kein Thema gewesen wäre, hätte Zsanett Jakabfi einfach ihren Elfmeter verwandelt, wäre eine bessere Schützin angetreten oder hätte sich schlicht eine Spielerin gefunden, die vor dem 1:1 den Ball aus dem Strafraum geschlagen hätte, vergaß die Wolfsburgerin dabei.

Weitere Fotos gibt es in der Galerie von Holzbein.


Statistik

Hamburger SV: Weech – Simon, Haye, Freese, Lahr – Saländer (69. Petermann), Ewers (59. Wübbenhorst) – Göransson (46. Jokuschies), Kulig, Zweigler – Kameraj

VfL Wolfsburg: Vetterlein – Bunte, Faißt, Omilade (86. Wiik), Chandraratne – Rantanen, Wilkens – Jakabfi, Hartmann (65. Wagner), Blässe (75. Larsen Kaurin) – Müller

Schiedsrichterin: Christina Jaworek (Rötsweiler) mit Kathrin Heimann (Gladbeck) und Imke Meinerling (Hamburg)

Zuschauer: 315

Tore: 0:1 Bunte (45.+2), 1:1 Simon (71.), 2:1 Petermann (84.)

Gelbe Karte: Wübbenhorst (HSV, 80. Minute)

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