Enttäuscht, aber nicht enttäuschend

Der große Kampf blieb ohne Belohung: Lena Petermann nimmt Tabea Kemme mit bissigem Zweikampfverhalten den Ball ab

Der große Kampf blieb ohne Belohung: Lena Petermann nimmt Tabea Kemme mit bissigem Zweikampfverhalten den Ball ab

Näher an einem Sieg gegen Turbine Potsdam war die Erste zuletzt am 8. Dezember 2004 gewesen: Damals schoss Petra Wimbersky den Siegtreffer für Potsdam in der 88. Minute. Knapp sechs Jahre später sollte sich die Geschichte wiederholen, nur mit einer anderen Torschützin und einem anderen Ergebnis. Auch im zwanzigsten Anlauf gelang den Rothosen in der Bundesliga kein Sieg gegen das Team von Bernd Schröder, lediglich im Pokal gelang es zweimal innerhalb von fünf Monaten – aber auch das liegt schon mehr als acht Jahre zurück. Umso bemerkenswerter war, dass auf beiden Seiten noch jeweils drei Spielerinnen im Kader waren, die das 2:0-Hinrundenaus der Turbinen am 18. August 2002 miterlebten: Beim HSV waren es Ex-Turbine Aferdita Kameraj, die damals neben Tanja Vreden im HSV-Sturm auflief, sowie Janina Haye und Silva Lone Saländer, die mit ihrem 2:0 die Vorentscheidung besorgte. Turbine brachte Viola Odebrecht, Anja Mittag und Jennifer Zietz mit – Letztere traf damals ebenfalls, aber ins eigene Tor. Dieser Fehler sollte ihr an diesem Tag – aus HSV-Sicht leider – nicht unterlaufen.

Die erste Chance: Crnogorcevic verpasst die Simon-Ecke

Die erste Chance: Crnogorcevic verpasst die Simon-Ecke

Im Grunde lief der HSV in Bestbesetzung auf, mit einer Einschränkung: Nach einer Verletzung im Länderspiel fehlte Kim Kulig. Schröder indes konnte aus dem Vollen schöpfen und experimentierte mit einer Vierer- statt Dreierkette, nachdem der Tabellenführer nach Ansicht vieler eigener Fans lange nicht so souverän agierte wie gewohnt und von hinten der große Konkurrent aus Frankfurt bedrohlich lauerte. Beim HSV wurde nicht auf Defensive geschaltet: Mit Lena Petermann, Nicole Zweigler, Antonia Göransson und Ana-Maria Crnogorcevic baute Achim Feifel weiter auf seine Offensivraute mit den dahinter nachrückenden Aferdita Kameraj und Marisa Ewers.

Nicole Zweigler im Duell mit Inka Wesely

Nicole Zweigler im Duell mit Inka Wesely

Die 789 zahlenden Zuschauer (de facto waren mehr im Stadion) sahen von Beginn an ein Spiel, in dem sich keines der beiden Teams mit Abtasten begnügte. Das mag auch daran gelegen haben, dass Turbines Keeperin Desirée Schumann schon in der ersten Minute gefragt war, als Crnogorcevic sie bei einem scharf vor das Tor getretenen Freistoß zu irritieren versuchte. Im direkten Konter entwickelte sich eine Zwei-gegen-zwei-Situation, in der Fatmire Bajramaj das Leder Richtung Hamburger Strafraum trieb und dann nach rechts auf Anja Mittag legte. Mit einem Haken verschaffte sie sich rechts im Strafraum gegen Janina Haye den Platz, den sie für den Abschluss benötigte, doch den Ball schlenzte sie links vorbei (2.). Die nächste Chance hatte wieder der HSV, als Simon einen Eckball von rechts flankte und Kameraj die Kugel mit der Stirn am Tor vorbei verlängerte (5.). In der Folge konnte sich Turbine sukzessive mehr Spielanteile erarbeiten, blieb dabei aber vollkommen harmlos. Auch, weil der HSV gut eingestellt war und die Zweikämpfe von der ersten Sekunde an annahm. Potsdam kombinierte zwar flüssiger, aber gefährlicher waren die Hanseatinnen, für die wieder Kameraj im gegnerischen Strafraum auftauchte. Im Anschluss an eine abgewehrte Ecke flankte Göransson erneut in die Mitte, aber das Leder rutschte der gebürtigen Kosovarin über die Fontanelle ins Toraus (20.). Potsdam war darum bemüht, sich selbst Möglichkeiten zu erspielen. Die aber sprachen für sich. Nach einem Fehler der ansonsten guten Nina Jokuschies spielte Tabea Kemme, die gebürtige Staderin in Reihen der Gäste, zu Bajramaj, aber deren Flachschuss stellte Bianca Weech nicht ansatzweise unter Stress. Fünf Minuten später war ein Volley-Aufsetzer von Inka Wesely nur durch das Aufspringen auf dem holprigen Geläuf vor dem Tor halbwegs tückisch zu entschärfen, aber auch das erledigte Weech so gekonnt wie entspannt (30.).

Nina Jokuschies stoppt Kemme mit allen Mitteln

Nina Jokuschies stoppt Kemme mit allen Mitteln

Der HSV meldete sich nun auch mal wieder zu Wort. Wenn etwas ging, dann meist über Flanken. Die stellten die Viererkette der Turbinen überraschenderweise vor Probleme. Simon flankte aus dem linken Halbfeld, doch Petermanns Kopfballverlängerung ging rechts vorbei (32.). Auf der anderen Seite verlängerte Viola Odebrecht einen Eckball von Bajramaj, doch den musste Kemme erst erlaufen, und deren Schlenzer aus spitzem Winkel strich über die Latte. Die beste Chance des ersten Durchganges hatte aber in der 38. Minute Crnogorcevic, die eine Szene aus dem Profi-Spiel vom Vortag beinahe kopierte. Göransson gab den Ball hoch an den Strafraum. Crnogorcevic blockte den Klärungsversuch von Bianca Schmidt, setzte nach und spitzelte den Ball auch an der herausstürzenden Torhüterin Schumann vorbei, bekam den Ball dann aber grätschend nicht mehr entscheidend gelenkt, so dass er nur das Außennetz traf – mit freundlichem Gruß an den anderen „9er“ bei den Männern, Paolo Guerrero, dem dies am Samstag ebenfalls „gelang“. Die letzte Szene hatte Potsdam, als Haye einen 27-Meter-Schuss von Odebrecht abfälschte und dieser dann rechts vorbei ging (42.).

Die eingewechselte Isabel Kerschowski gegen Antonia Göransson

Die eingewechselte Isabel Kerschowski gegen Antonia Göransson

Das torlose Remis zum Pausentee war leistungsgerecht. Im Kontrast zur Tabellensituation war Turbine Potsdam nicht die bessere Mannschaft, sondern tat sich schwer, während der HSV gut dagegen hielt und so gleichwertig war. Die Platzherrinnen waren bissig. Besonders hervorzuheben war hier Heike Freese, die zweifellos die beste Halbzeit ihrer HSV-Karriere ablieferte. Nach vorn fehlte dem HSV aber, wie jedoch Potsdam auch, die letzte Konsequenz. Aber noch war das Spiel offen – sehr zum Missfallen von FFC-Coach Bernd Schröder, der zum Seitenwechsel Odebrecht und Wesely herausnahm und mit Yuki Nagasato und Isabel Kerschowski wieder auf 3-4-3 umstellte.

Zweigler kontrolliert den Ball mit dem Knie gegen Josephine Henning

Zweigler kontrolliert den Ball mit dem Knie gegen Josephine Henning

Doch sein Team kam weiterhin kaum zum Zug. Beim Ballbesitz konnten sie sich durchaus Vorteile erarbeiten, aber Torszenen oblagen zumeist den Hamburgerinnen. So probierte es Göransson mal aus der Drehung aus 22 Metern, doch der Ball flog hoch links vorbei (48.). In der 54. Minute landete ein Schussversuch von Petermann bei Crnogorcevic, die mit einem Flachschuss aus 12 Metern Schumann zu Boden zwang. Und nach Ablage von Ewers verzog Petermann klar (56.).

Carolin Simon narrt Kerschowski

Carolin Simon narrt Kerschowski

In der 70. Minute wechselte Achim Feifel erstmals und brachte mit Jobina Lahr für Nicole Zweigler eine schnelle Spielerin. Die Partie blieb ausgeglichen, und der HSV schien sogar dem Tor näher zu sein als der Tabellenführer, versprühte deutlich mehr Torgefahr. Bernd Schröder zog in der 73. Minute den letzten Joker und brachte Daniela Löwenberg für Tabea Kemme. Zeitgleich kam beim HSV Silva Lone Saländer für Marisa Ewers und sollte entscheidende Spielimpulse geben, vielleicht aber auch den einen fehlenden Distanzschuss loslassen, der den Sieg bedeuten konnte. Doch zunächst zog wieder Petermann ab: Nach Ablage von Crnogorcevic hielt sie drauf, aber Schumann konnte den abgefälschten Ball fangen (76.). Von Potsdam war bis dato nix zu sehen. Nur in der 77. Minute wurde es brenzlig, als Nagasato nach einem Fehler von Haye in Ballbesitz kam und die weit vor dem Tor stehende Bianca Weech zu überheben versuchte, doch der Schuss landete auf dem Tornetz. Durchschnaufen!

Heike Freese bearbeitete erfolgreich Lira Bajramaj

Heike Freese bearbeitete erfolgreich Lira Bajramaj

In dieser Phase spielte Turbine sehr druckvoll Richtung HSV-Kasten. Den Rothosen gelang es kaum einmal, sich wirksam zu befreien. Bei Gegenstößen kamen sie über Ansätze nicht hinaus, es fehlten schlicht Konzentration und Genauigkeit beim entscheidenden Pass. Sie schienen nun nervös zu werden. Das sollte sich rächen. In der 82. Minute kam Kerschowski links in Ballbesitz, flankte in den Strafraum, und zum ersten Mal war die Innenverteidigung des HSV kollektiv nicht im Bilde. Nagasato stieg hoch und köpfte frei gegen die Laufrichtung von Weech ins lange Eck zum 0:1. Ein einziger Fehler, und der wurde sofort bestraft. Bitter für die Hanseatinnen, die nun noch einmal das Tempo forcierten und auf den Ausgleich drängten. Eine Simon-Flanke wurde abgewehrt, und Göransson zog direkt mit dem schwächeren rechten Fuß aus 17 Metern ab – Zentimeter über den Querbalken (83.). Dann flog erneut eine Simon-Flanke auf den zweiten Pfosten, aber Petermanns Kopfball landete nur auf dem Tornetz (87.). Nochmal der HSV. Saländer passte in der 89. Minute in die Gasse – Schumann war vor Crnogorcevic unten. Es gab drei Minuten Nachspielzeit, und in der hatte lediglich Turbine noch die Chance zum 0:2, aber Weech erreichte Zietz‘ Steilpass vor Bajramaj.

Aferdita Kameraj versuchte immer wieder anzutreiben

Aferdita Kameraj versuchte immer wieder anzutreiben

So brachte Turbine Potsdam den knappen Sieg über die Zeit. Und der war mehr als schmeichelhaft und glücklich, er war sogar unverdient. Der HSV lieferte über die gesamten 94 Minuten einen großen Kampf ab – exemplarisch sei hier Antonia Göransson genannt, die stark mitverteidigte und auch am eigenen Strafraum Bälle gewann – und war mindestens gleichwertig. Nach Chancen gezählt, war das Team von Achim Feifel sogar die bessere Mannschaft. Dass eine Unachtsamkeit sie um den verdienten Lohn brachte, war äußerst ärgerlich. Vorwürfe brauchte sich die Hamburger Elf aber nicht machen. Es fehlte lediglich ein kleines Quäntchen an Klasse, das ein Meister und Champions-League-Sieger eben hat, um hier mit einem, vielleicht aber auch mit drei Punkten vom Feld zu gehen. Für Lob und Anerkennung vom Gegner, von Schröder bis hin zu den Mitgereisten, konnten sich die Rautenkämpferinnen an diesem Tag nichts kaufen. Und Achim Feifel hatte nun eine selten gekannte Aufgabe zu übernehmen: Aus dieser Enttäuschung über das Ergebnis und die weit überwiegenden, positiven Aspekte die Motivation und „Jetzt erst recht“-Stimmung für das kommende Auswärtsspiel am Sonntag beim SC 07 Bad Neuenahr zu machen, um im Apollinarisstadion die drei Punkte zu holen, die ein erschreckend schwacher Tabellenführer doch noch aus Stellingen entführte.

Antonia Göransson machte eine starke Partie

Antonia Göransson machte eine starke Partie


Statistik:

Hamburger SV: Weech – Simon, Freese, Haye, Jokuschies – Kameraj, Ewers (73. Saländer) – Petermann – Göransson, Crnogorcevic, Zweigler (70. Lahr)

1.FFC Turbine Potsdam: Schumann – Henning, Peter, Wesely (46. I. Kerschowski), Schmidt – Kemme (73. Löwenberg), Zietz, Keßler, Odebrecht (46. Nagasato) – Mittag, Bajramaj

Schiedsrichterin: Marina Wozniak (Herne) mit Monique Klauß (Duisburg) und Kathrin Heimann (Gladbeck)

Zuschauer: 789

Tor: 0:1 Nagasato (82.)

Gelbe Karten: keine

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