
Erleichterung nach dem mühsamen Zittersieg
Die zweite Frauenmannschaft durfte wieder loslegen – endlich! Allerdings musste das Spiel gegen Victoria Gersten auf den neuen Kunstrasen in Ochsenzoll verlegt werden, da abermals die Hagenbeckstraße gesperrt war. Mit dem weitaus härteren Untergrund hatten sie erstaunlicher Weise mehr Probleme als der Gegner aus Niedersachsen. Zunächst.

Desirée Steinike feierte ihren Pflichtspieleinstand beim HSV
Claudia von Lanken hatte „Verstärkung“ bekommen: Achim Feifel hatte Janka Rohrberg, Fata Salkunic, Daniela Schacher und Desirée Steinike nicht mit nach Frankfurt genommen. So standen drei der vier in der Anfangsformation: Rohrberg als linke Verteidigerin, Steinike bei ihrem Pflichtspieldebüt nach langer Krankheit auf der rechten Außenverteidigerposition, und Salkunic übernahm den linken Flügel im Mittelfeld. In der Innenverteidigung war die „abgestiegene“ Denise Lehmann zu finden, für sie rückte Henrike Meiforth ins defensive Mittelfeld. Im Sturm war zudem Melanie Nilsson in die Anfangsformation gerückt. Cathérine Knobloch, Seda Heinrich, Annika Rode und eher überraschend auch Sarah Begunk sammelten zuvor bei der Dritten im Test gegen Eintracht Immenbeck Spielpraxis. Im Vergleich zum 0:1 in der Vorwoche gegen den FFC Oldesloe vertraute Gerstens Trainerin Maria Reisinger im Sturm auf ein junges Juwel, Vanessa Rohling. Sturm-Schreckgespenst Martina Fennen saß statt dessen auf der Bank. Zudem war Inga Kappels Schwester Britta überhaupt nicht dabei, dafür spielte Jana Kieras.
Wenn es einen Wettergott gibt, muss er wohl ein Macho sein, denn das erste Pflichtspiel des HSV II. im Jahr 2010 bedachte er nicht nur mit Regen, sondern auch mit kalten Sturmböen. So wäre den meisten Akteurinnen wohl eine erneute Absage lieber gewesen. Doch Schiedsrichterin Riem Hussein, früher Regionalliga-Stürmerin in Diensten des Wolfenbütteler SV, pfiff unbeirrt an. Die ersten dreizehn Minuten lassen sich gut mit dem Begriff „Orientierungsphase“ beschreiben. Beide Teams suchten zunächst einmal ihre Ordnung und Löcher in der des Gegners, ohne jedoch Chancen herauszuspielen. Dann aber zeigte der SV Victoria, dass er auf Wiedergutmachung für die Pleite vom letzten Wochenende aus war. Bei einem Konter nach Ballverlust im Mittelfeld spielte Kieras rechts raus auf Kappel. Deren kurzen Lupfer auf den Elfmeterpunkt bekam der HSV nicht aus der Gefahrenzone, so dass Kieras im Nachsetzen den Ball aufs Tor spitzeln konnte. Mit einer schnellen Reaktion war HSV-Keeperin Jenny Weber dran und lenkte die Kugel an den Pfosten, wo schließlich Carina Wolfgramm klärte. Es hätte ein Weckruf sein sollen. Statt dessen setzte Kieras eine Minute später Rohling mit einem langen Pass in Szene. Die gewann das Laufduell gegen Steinike und traf zum 0:1 ins kurze Eck (14.). Ein Tor, bei dem sowohl Steinike als auch Weber, die die Torwartecke offen gelassen hatte, nicht gut aussahen.

Laufduell zwischen Gerstens Talent Vanessa Rohling und Denise Lehmann
Der HSV tat sich sehr schwer. Das Aufbauspiel verlief viel zu träge für die schnell zurück eilenden Niedersachsen, die taktisch diszipliniert auf Aktionen der Rothosen warteten, um diese dann zu entkräften. Vor allem über die Flügel kam nichts. Das hing auf der linken Seite auch mit Salkunic zusammen, die ohne Ball oft stehen blieb, anstatt sich für lange Diagonalbälle hinter die Verteidigung anzubieten und per Flanke dann Chancen einzuleiten. So waren die einzig nennenswerten Torannäherungen in der ersten halben Stunde ein problemlos von Vera Oude-Wesselink gefangener Heberversuch von Kathrin Patzke aus der Distanz (17. Minute) und ein harmloser Flachschuss von Meiforth aus 25 Metern (19.). Dem Team von Claudia von Lanken fiel nichts ein, um die schnell nach hinten umschaltenden Gäste zu überwinden. Statt dessen begingen sie Fehler. In der 31. Minute konterte Gersten erneut. Kappel war mit aufgerückt und legte nach Durchstecken von Kieras quer an Weber vorbei, und Sarah Schneider brauchte nur noch den Fuß hinhalten – 0:2. Allerdings stand Kappel zuvor beim Pass von Kieras stark abseitsverdächtig.
Der Unmut des Hamburger Trainerduos richtete sich dennoch weiterhin gegen das ideenlose Aufbauspiel. In der 40. Minute sollten sie erstmals einen konstruktiven Vortrag ihres Teams zu sehen bekommen. Einen langen Ball aus der eigenen Hälfte verlängerte Nilsson per Kopf weiter auf den rechten Flügel. Dort war Jobina Lahr gestartet, gewann das Laufduell mit Katharina Börger und flankte fast von der Grundlinie halbhoch in die Mitte. Am Elfmeterpunkt hatte sich Patzke im Rücken der Innenverteidigung geschickt positioniert und brachte das Leder mit einer Direktabnahme per langem Bein im Kasten der Gäste unter. Nur noch 1:2. Das sollte doch Mut machen für die zweite Halbzeit, denn es blieb zum Pausenpfiff beim Rückstand. Die Zweite hatte zu spät die Verantwortung für das Spielgeschehen übernommen und konnte sich über das Ergebnis nicht beschweren. Gersten agierte clever, stand recht sicher in der Defensive und spielte schnell über Rohling nach vorn, wurde aber auch bei beiden Toren durch Stellungsfehler begünstigt.

Kieras kann den Pass von Steinike auf Nilsson nicht unterbinden
Zur zweiten Halbzeit handelte Claudia von Lanken und brachte zwei neue Spielerinnen: Daniela Schacher kam für die – Verzeihung für das Wortspiel – „fatastrophale“ Salkunic und wechselte auf den rechten Flügel, während Lahr auf die angestammte linke Seite zurückkehrte, und vor der Abwehr ersetzte Mayline Danner die unglücklich agierende Carina Wolfgramm. Doch zu Beginn des zweiten Spielabschnittes ähnelte das Geschehen auf dem Platz weiten Teilen der ersten Halbzeit. Wieder fehlte dem HSV die spielerische Klasse, um Gersten in Bedrängnis zu bringen, auch wenn sie jetzt versuchten, mehr zu tun. Aus dem Nichts heraus bekamen sie zehn Minuten nach Wiederanpfiff die Gelegenheit zum Ausgleich: Nachdem Lahrs Ecke zunächst abgewehrt worden war, kam Danner aus dem rechten Halbfeld zur Flanke. Zehn Meter vor dem Tor hatte sich Denise Lehmann mustergültig gegen die Abseitsfalle freigelaufen. Das Tor war groß, die Torhüterin klein und wohl die Nerven schwach: Statt das Leder wie 21 Monate zuvor beim Abstiegsendspiel der Ersten gegen Saarbrücken einfach zu versenken, ging ihr Volley mit links weit rechts daneben (55.). Unfassbar! Lehmann wusste nach dem Spiel das Auslassen dieser Chance auch nicht zu begründen.

In einer relativ fairen Partie ging es auch mal zur Sache. Hier schiebt Schacher gegen Kieras
Für Gersten war das wohl der Weckruf, sich nicht auf dem knappen Vorsprung auszuruhen. Reisinger wechselte und brachte mit der bislang neunfachen Torschützin Martina Fennen für Tanja Baumann eine zusätzliche Offensivkraft. Mutig. Und Fennen bekam auch gleich die Chance, als sie Rohlings Pass im Strafraum erreichte, aber Schacher klärte per Grätsche im letzten Moment zur Ecke (61.). Auf der Gegenseite bekam Denise Lehmann zwanzig Minuten vor dem Ende die Chance, sich zu rehabilisieren. Wieder wurde ein HSV-Eckball abgewehrt, wieder kam der HSV in Ballbesitz. Rechts wurde Lehmann der Ball zugespielt. Die fand zunächst keine Anspielstation und dribbelte auf Strafraumhöhe gegen eine Gerstenerin, hoffend auf eine Lücke und die Kugel sauber abschirmend. Zwei lange Schritte zur Torauslinie brachten dann den entscheidenden Vorteil, und ihre Flanke verwertete Patzke mit einer traumhaften Direktabnahme gegen die Laufrichtung Oude-Wesselinks zum 2:2 ins lange Eck – ein Klassetor (69.)! Saisontor Nummer 14 für die Kielerin, die damit in der Torjägerliste den Abstand auf Herfords Laue und Pollmann sowie Rohling aus Gersten auf 4 Treffer ausbaute. Damit bestrafte sie die Passivität der Victoria, zeigte aber ebenso auf, dass sie eben nicht nur aus Sololäufen mit Umkurven der Torhüterin treffen kann – und dass sie die (Über-)Lebensversicherung von HSV II. in der zweiten Bundesliga ist.

Meiforth setzt sich durch - Sekunden später erzielt Danner den Siegtreffer
Die Rothosen setzten nun nach. Kämpferisch stimmte es nun, und das 2:2 brachte – im wahrsten Sinne des Wortes – Aufwind für die letzten 20 Minuten. Ein Sieg war greifbar nahe. Drei Minuten nach dem Ausgleich erhielten die Rautenkickerinnen einen Einwurf auf der linken Seite auf Höhe des Strafraums. Lahr warf auf Meiforth ein, die Richtung Strafraumeck zog. Dort überließ sie – ob freiwillig oder nicht, war nicht erkennbar – das Leder für Danner, die sich um ihre Gegenspielerin wand und einfach mit links abzog. Der Schuss war harmlos und kam genau auf Oude-Wesselink. Die aber grabschte daneben und lenkte die Kugel mit der Schulter ins Netz – 3:2 (72.)! Was für ein glückliches Tor! Hatte der Wind plötzlich nachgelassen und sie mit einer Böe gerechnet? Es blieb ungeklärt. Aber der HSV musste aufpassen. Gersten würde nun noch einmal alles riskieren, um die zweite Niederlage in Serie abzuwenden. Nach einem Fehler von Lehmann, die hinten oftmals einen Tick zu lässig wirkte, kam Sarah Sieksmeyer aus 15 Metern halbrechts zum Abschluss. Zum Glück verfehlte er das lange Eck (76.). Die Szene zeigte aber auch, dass Gersten trotz Martina Fennen und Vanessa Rohling die Durchschlagskraft fehlte.

Melanie Nilsson - ohne Worte
Fünf Minuten vor dem Ende bekamen die Platzherrinnen die Möglichkeit, alles klar zu machen. Danner bediente Lahr links mit einem schönen Pass in die Tiefe. Die ging an der baumlangen Kapitänin Melanie Roters vorbei und von links in den Strafraum. Frei vor Oude-Wesselink schob sie den Ball quer auf die mitgelaufene Nilsson. Drei Meter zum verwaisten Tor, eine mustergültige Vorarbeit, das 4:2 auf dem Silbertablett – aber Nilsson wähnte sich wohl schon beim Torjubel und kickte das Leder klar links am Kasten vorbei! An der Seitenlinie: Kollektive Fassungslosigkeit. Es musste weiter gezittert werden, und weil sie ihre Fehlleistung nicht so einfach wegsteckte, kassierte sie noch eine lautstarke Aufforderung von Lankens, die Szene abzuhaken und sich wieder auf das Spiel zu konzentrieren. Eine einzige Chance hatte Gersten noch: Mit dem Mute der Verzweiflung versuchte es Victoria-Torschützin Schneider mit einem Schuss aus 30 Metern halblinks. Doch das Ding ging knapp links am Weber-Gehäuse vorbei.

Schneider hat Gerstens letzte Chance aus 30 Metern
Beim pünktlichen Abpfiff durch Riem Hussein herrschte auf der HSV-Bank Erleichterung, bei Gersten jedoch Ernüchterung. In der zweiten Hälfte hatte der HSV deutlich mehr vom Spiel, versäumte es aber, klarste Torchancen zu nutzen, die zudem eher spärlich gesät waren. Mit Mühe holten sie einen Sieg, der insgesamt verdient war, den sie gegen einen Tabellendritten in dieser Verfassung allerdings auch dringend holen mussten, um die Abstiegszone auf Distanz zu halten, zumal Wattenscheid durch ein 2:1 gegen Gütersloh an Kiel (0:0 gegen Werder Bremen) auf Relegationsrang 10 vorrückte. Gersten fiel hingegen zu wenig ein, um einer Komprimierung der Verfolgergruppe hinter Herford und Potsdam II. entgegenzuwirken.
Statistik:
Hamburger SV II.: Jennifer Weber – Janka Rohrberg, Denise Lehmann, Johanna Borkowski, Desirée Steinike – Fata Salkunic (46. Daniela Schacher), Carina Wolfgramm (46. Mayline Danner), Henrike Meiforth, Jobina Lahr – Melanie Nilsson – Kathrin Patzke
SV Victoria Gersten: Vera Oude-Wesselink – Katharina Börger, Sarah Meiners, Melanie Roters, Sina Tepe – Tanja Baumann (58. Martina Fennen) – Sarah Schneider, Jana Kieras, Inga Kappel – Vanessa Rohling, Sarah Sieksmeyer
Schiedsrichterin: Dr. Riem Hussein (Bad Harzburg) mit Katharina Kruse (Eichwalde) und Jessica Siek (Oranienburg)
Zuschauer: 50
Tore: 0:1 Rohling (14.), 0:2 Schneider (31.), 1:2 Patzke (40.), 2:2 Patzke (69.), 3:2 Danner (72.)
Gelbe Karte: Meiforth (Hamburg, 48. Minute, Foulspiel)