Vernünftige Entscheidungen

Die Torjägervon Fuxi

Der vergangene Sonntag war so ziemlich der Schlimmste in meiner Zeit als HSV-Frauenfußball-Fan. Beim 8:0 der 1. D-Mädchen gegen Meiendorf habe ich mich über den nassen Rasen geärgert und über den Umstand, dass mir mein Frühstück runterfiel, so dass ich es schnell wegmampfen musste, während das Spiel schon lief. Zwei Stunden später ärgerte ich mich über die Spielweise der Vierten, die 1:3 gegen Wedel verlor, auch wenn es eine Rumpfelf der Rothosen war, ohne etatmäßige Torhüterin. Und ich ärgerte mich über das Foul von Nadine Odzakovic bei der Dritten, das nach zwölf Minuten einen Rückstand per Elfmeter einbrachte, und darüber, wie die Mannschaft zerfahren darauf reagierte. Gerade die letzteren beiden Umstände schlagen mir normalerweise auf die Stimmung. Doch an diesem Sonntag wurden diese ganzen Sachen zu Petitessen. Genauer: In der 36. Minute des Regionalligaspiels HSV III. gegen Bergedorf 85.

Meine erste Reaktion darauf, wie Claudia Teixeira Pinto da von einer Gegenspielerin weggerammt wurde, war lauter, empörter Protest. Es war ein übler Zusammenprall. Aber im Nachhinein war es auch kein Foul gewesen, sondern eben ein böser Zusammenprall im Kampf um das Spielgerät, bei dem die Bergedorferin eben dieses traf, aber leider auch Claudia. Man denkt nicht daran, dass da was Schlimmes passiert sein könnte, denn in 99,9 Prozent der Fälle steht der oder die Getroffene nach kurzer Behandlungszeit wieder auf und wird entweder mit Brummschädel ausgewechselt oder kann weitermachen. Nicht so am Sonntag, das wurde nach und nach klar. Auch ein gerufener Rettungswagen muss nicht heißen, dass da was Schimmeres passiert ist. Zumindest hält man sich an dieser Hoffnung fest.

Warum der Rettungswagen so lange brauchte, um zu der Entscheidung zu kommen, direkt zur Verletzten auf den Platz zu fahren, fällt mir immer noch schwer, nachzuvollziehen. Immerhin war die Meldung am Telefon recht eindeutig. Dass die Schiedsrichterin den Spielabbruch verkündete, als Claudia abtransportiert war und Maike Timmermann noch begutachtet wurde, war für meinen Geschmack zu spät. Klar, die HSV-Mädels wären bereit gewesen, „für Claudia“ weiterzuspielen, aber klug wäre das nicht gewesen. Niemand kann sich nach so einem Zusammenstoß und diesen ernsthaften Folgen mit zwei auszuwechselnden Spielerinnen, die beide ins Krankenhaus müssen, noch vernünftig konzentrieren, und auch den Bergedorferinnen wäre das kaum zuzumuten gewesen. Von der Dauer der Unterbrechung, über eine Stunde, mal ganz abgesehen. Zudem besteht die Gefahr, dass ein daraus folgender Konzentrationsmangel zu einem weiteren Unglück führt – damit ist niemandem gedient. Mag sein, dass die Spielerinnen das in diesem Moment noch nicht realisierten, aber draußen, hinter dem Geländer, waren die Reaktionen von Trainern, Funktionären und nahestehenden Zuschauern schon recht deutlich. Vor allem bei Peter Schulz war der Schock am Gesicht abzulesen. Auch bei mir setzte der Zustand des Schockiertseins erst mit Verlassen der Anlage ein und dem Realisieren, was da wirklich passiert war.

Der Norddeutsche Fußballverband hat beschlossen, das Spiel am 27. Oktober um 19:30 Uhr an gleicher Stätte neu anzusetzen. Maike Timmermann wird wieder dabei sein und sich wieder reinhängen. Für Claudia Teixeira Pinto kommt dieses Spiel noch viel zu früh. Aber die Entscheidungskette insgesamt, also Abbruch und Neuansetzung, ist von den zuständigen Personen mit Augenmaß getroffen worden. Das sage ich nicht als HSV-Fan, der darin eine neue Chance auf Punkte sieht. Auch mit umgekehrten Vorzeichen wären dies vernünftige Entscheidungen gewesen. Denn letzten Endes ist Fairness ein Grundpfeiler des Sports, und einer Mannschaft, die einen solchen Schock zu verkraften hat, auch noch die Punkte zu nehmen, führt den Sport ad absurdum. Gewiss, die FIFA sieht das anders, wie wir seit dem Fall Marc-Vivien Foé wissen. Für die internationalen Dachverbände ist Fußball bloß Geschäft. Die FIFA machte bei der WM in Deutschland 2006 2,2 Milliarden Euro Gewinn. Der Mensch zählt wenig, sogar der, der auf dem Platz steht. Darum ging das Confederations Cup-Spiel damals auch weiter. Am Sonntag war das zum Glück anders. Da siegte vor allem die Vernunft.

Kommentar:

guggste, Eingereicht am 16.09.2010 um 11:18: Wenn´s um Geld geht bleibt die Vernunft auf der Strecke. Da führen sich die wohlgmeinten Sportlersprüche, wie “Fair geht vor” usw., selbst ad absurdum. Leider auch in allen anderen Berreichen des Lebens. Deshalb Danke! für diesen lesenswerten und zum nachdenken anregenden Beitrag.

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