Schwere Zeiten

Torjäger FuxiKommentar/Kolumne von Fuxi

Ich habe mir mit diesem Kommentar viel Zeit gelassen. Nein, richtiger muss es wohl heißen: Ich habe mich mit diesem Kommentar schwer getan. Als ich von der Entwicklung um die Zweite erfuhr, formulierte ich eine erste Version, die aus heutiger Sicht über das Ziel hinaus geschossen wäre und die Situation als dramatischer dargestellt hätte, als sie sich nun darbietet. Später habe ich meinen Entwurf korrigert, abgemildert und anders aufgebaut, aber auch diese Zwischenversion wäre für eine Veröffentlichung schlicht „too much“ gewesen. Dass er heute erscheint, ist Ausdruck eines aufgeklarten Gesamtbildes, obwohl es auch immer noch offene Fragen gibt. Gleichwohl bin ich lange nicht so optimistisch wie Kuddel in seinem Kommentar „Chancen sehen“ vom 16. Mai dieses Jahres. Das mag an einer fundamental unterschiedlichen Grundhaltung meinerseits liegen. Oder auch einfach daran, dass ich länger dabei bin.

Stand heute kann man den Umgang mit der Mittelkürzung durch den Interimsvorstand Jarchow/Hilke mit dem Rückzug der zweiten Mannschaft aus der zweiten Bundesliga nur als Rettungstat für die Erste betrachten. Die Zweite wurde geopfert, damit die Erste keinen noch gravierenderen Substanzverlust erleiden muss. So symptomatisch das auch für den HSV-Frauen- und Mädchenfußball in den letzten Jahren, vor allem unter Trainer Achim Feifel, auch ist, so stellt es sich doch als das geringere Übel dar – bei aller Bitterkeit. Die Alternative wäre gewesen, beide Teams mit weniger Geld zu erhalten, auf die noch größere Gefahr hin, dass die Erste absteigt und die Zweite zwangsweise mit. Der Abstieg der Ersten in die zweite Bundesliga Nord wäre damit ein noch größerer Rückschritt. Mit der aktuell gewählten Lösung bleibt zumindest die Hoffnung, dass nicht alles Aufgebaute mit dem Hintern eingerissen wird.

Ich will dabei nicht verhehlen, wie ich über diese Entscheidung der Mittelkürzung überhaupt denke. Machen wir uns nichts vor: Die kolportierte, fünfstellige Summe ist für den Lizenzspielerbereich ein Witz. Etwas überspitzt ausgedrückt, entspricht sie ungefähr der Summe, die die Profis an einem einzigen Abend nach Sieg oder Niederlage in einer Nobeldisco oder im heimischen Wohnzimmer versaufen. Oder beim Onlinepoker verzocken. Ich denke eher, dass der Vorstand eigene Duftmarken setzen wollte, auch im Hinblick auf den von Intrigen und Egomanie zerfressenen Aufsichtsrat. Ohne Fürsprecherin Katja Kraus – über deren Arbeitsweise und Engagement in Sachen Frauenfußball man freilich kontrovers diskutieren kann – war die Mittelkürzung aber eigentlich zu erwarten.

Immerhin ist Interimsvorstandsvorsitzender Carl-Edgar Jarchow neu gewählter Bürgerschaftsabgeordneter für die FDP – jene Partei also, deren Klientel geradezu pathologisch dem Dogma unterliegt, dass Personal ausschließlich eher Kosten- als Produktivfaktor darstellt, wie es im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften an jeder deutschen Universität seit Jahrzehnten gelehrt wird. Und Joachim Hilke kommt erneut von HSV-Vermarkter Sportfive, wie auch Hoffmann und Kraus. „Erneut“ deshalb, weil er als Angestellter von Sportfive, früher UFA Sports, schon einmal als Marketingbeauftragter dem Vorstand angehörte, was aber als Interessenskonflikt den Regularien des DFB widersprach. Er wurde nun fest auf drei Jahre als Kraus-Ersatz verpflichtet, muss sich nun aber seinerseits von seinen Vorgängern absetzen, um auch in zweieinhalb Jahren eine Vertragsverlägerung zu erreichen. Von Bastian Reinhardt als „Sportchef auf Abruf“ war ohnehin keine Fürsprache zu erwarten, schließlich wurde er schon seit seiner Installation von verschiedenen Personen, die meinten, das beurteilen und über ihn richten zu können, demontiert und war seit dem Arnesen-Deal eher Bettvorleger als Tiger. Und über Oliver Scheel brauche ich nichts sagen. Dessen Arbeit ist so unauffällig – sofern es nicht gerade vor 57.000 Zuschauern in der Arena irgend eine Ehrung vorzunehmen gibt -, dass die meisten von seiner Existenz als Vorstandsmitglied wahrscheinlich gar nichts wissen. Insofern erscheint die Mittelkürzung nur konsequent, trotz des für den Profifußball lächerlichen Betrags.

Viel wichtiger ist aber, was bei dieser Entscheidung nicht bedacht wurde. Und das ist dreierlei. Erstens hat es nicht nur eine Menge Arbeit, Herzblut und Tränen gekostet, überhaupt in die Lage zu kommen, dass die erste, zweite und dritte Mannschaft in den obersten drei Ligen allesamt unter die besten vier kommen konnten, sondern auch viel Geld. Über den gesamten Zeitraum kann man wohl durchaus von einem siebenstelligen Betrag sprechen, den es gekostet hat, eine derartige Rampe für den Aufstieg von den Juniorinnen bis in die Bundesliga zu bauen. Eine Rampe, die langfristig dafür hätte sorgen können, dass die Kosten für Spielerinnen sinken, weil diese aus dem eigenen Nachwuchs bzw. aus Hamburg und dem Umland kommen konnten und nicht teuer gegen die Konkurrenz aus unter anderem Wolfsburg hätte verpflichtet werden müssen, und die den HSV für Talente aus dem Umland perspektivisch attraktiver gemacht hätte. Dieses Fundament ist größtenteils weggebrochen. Zweitens – das ist ein noch bedeutsameres Zeichen für die Kurzsichtigkeit dieser Aktion – wird es ein Vielfaches der kolportierten „Einsparung“ kosten, wieder in diese Position zurückzukehren. Und drittens hat die Mittelkürzung dem HSV geschadet, einerseits dem Ruf als weltoffenen Verein – gerade so kurz vor der WM im eigenen Land gab es ein beträchliches, negatives Echo -, andererseits dem Marketingwert als Vorzeigeclub abseits der seit zwei Jahren nicht vorzeigbaren Lizenzfußballer.

Dass es überhaupt noch mittelfristig möglich ist, dort wieder hinzukommen, wo er im April 2011 noch war, verdankt der HSV der Amateurabteilung Frauen- und Mädchenfußball. Denn diese entschied sich, vermutlich in Absprache mit dem Amateurvorstand, für die „Abstiegslösung“ – formal steigt die Zweite aus der 2. Bundesliga Nord in die Regionalliga und die Dritte aus der Regionalliga in die Verbandsliga ab – und gegen die Auflösung einer Mannschaft. Die neue Zweite erhält in der Regionalliga mit dem Verbandsligateam einen Unterbau, der qualitativ näher dran ist als das Bezirksligateam, das in der Hierarchie Vierte bleibt. Was Kuddel als Chance begreift, ist für mich jedoch nur Begrenzung des angerichteten Schadens. Durch die Entscheidung der Amateurabteilung dauert zumindest die Rückkehr zur Ligeneinteilung der abgelaufenen Saison nicht ganz so lange – sofern sich ein Vorstand findet, der zum Frauen- und Mädchenfußball im HSV steht und ihn nicht nur unter Kostengesichtspunkten betrachtet, sondern als Investition in die Marke HSV. Und unter der Prämisse, dass nicht in einem Jahr erneut die Mittel zusammengestrichen werden. Legt es ein Vorstand ernsthaft darauf an, die Zweite wieder in die zweite Bundesliga Nord und die Dritte in die Regionalliga zu positionieren – sofern es die Regularien dann noch zulassen -, müssen nur zwei Mannschaften je einmal aufsteigen. Alternativ hätte es drei Jahre gebraucht, um die von der Vierten zur Dritten gewordene Bezirksligatruppe in die dritthöchste deutsche Spielklasse aufsteigen zu lassen – mindestens.

Wie groß der angerichtete Schaden aber in Wahrheit ist, wird die Nach-WM-Saison beweisen müssen. Eine Wiederholung des vierten Platzes aus dieser Saison ist in der nächsten Spielzeit mehr als utopisch. Ein großer Teil des Kaders wurde zusammengehalten. Dennoch steht die Erste vor einer schweren Saison. Kim Kulig ist nicht annähernd gleichwertig zu ersetzen – noch schwerer wird das jedoch angesichts des vom Vorstand kommunizierten Signals. Wer sagt, die Mannschaft müsse das nun durch Zusammenhalt kompensieren, greift zu kurz, denn Kim Kulig war beim HSV trotz ihrer herausragenden Position als „Star“ des Teams keine Alleinunterhalterin. Sie brauchte ein bereits funktionierendes Team um sich, um glänzen zu können, und ohne diese Voraussetzungen hätte – wie die Profis beweisen – kein vierter Platz herausspringen können.

Nun besteht ein beträchtlicher Teil der Mannschaft in der kommenden Saison aus Spielerinnen, die in der zweiten Bundesliga ungeschlagen Meister wurden. Was wie ein Qualitätsmerkmal aussieht, muss man aber in den gebührenden Relationen betrachten. Die beste Mannschaft der zweiten Bundesliga Nord zu sein, ist eine großartige Leistung, aber nur ein Teil der Wahrheit. Ein anderer Teil der Wahrheit ist, dass die letzten vier Aufsteiger aus der Nordstaffel – SG Wattenscheid 09, TeBe Berlin und zweimal der Herforder SV – im Folgejahr aus der ersten Bundesliga wieder abgestiegen sind. Der letzte Verein, der nach dem Aufstieg die Klasse hielt, war der VfL Wolfsburg. Das gelang sonst nur dem FFC Brauweiler, der in der zweiten Saison nach dem Aufstieg wieder in den Fahrstuhl nach unten stieg. In der Südstaffel sieht das etwas anders aus: Dort stiegen nur der VfL Sindelfingen (2005/2006) und der 1.FC Saarbrücken (2007/2008) direkt wieder ab, während der TSV Crailsheim, FF USV Jena, 1.FC Saarbrücken (2009/2010) und Bayer 04 Leverkusen die Klasse hielten. Es ergibt sich ein Bild größerer Leistungsdichte im Süden, vor allem, da von den Süd-Aufsteigern in der kommenden Saison noch drei übrig sind – im Norden ist es nur Wolfsburg. Man darf also zwar darauf hoffen, dass sich die aus der Zweiten aufgestiegenen Akteurinnen schnell an die erste Bundesliga anpassen können – wenn man es allerdings von ihnen erwartet und voraussetzt, tut man ihnen damit keinen Gefallen.

Nicht mehr zum Erstligakader des HSV gehört Kathrin Patzke. Und hier bietet die Entwicklung schon Material für eine Tragikomödie. Die beste Torschützin der zweiten Bundesliga Nord der vergangenen zwei Spielzeiten verzweifelte beim Versuch, wieder in die erste Mannschaft zu kommen, trotz 47 Toren in zwei Jahren. Und nun, wo die Zweite aufgelöst, Spielerinnen hochgezogen werden und im Sturm mindestens ein Platz frei ist, stand ihre Entscheidung für den Wechsel nach Leipzig fest. Besser noch: Während sie, anstatt kostenfrei bis günstig von der Zweiten in die Erste aufzusteigen, die Mühen auf sich nimmt, im Norden unter der Woche mit einer Männermannschaft zu trainieren und am Wochenende bei Lok Leipzig – und das auch noch für die HSV-Konkurrenz im Abstiegskampf! – in der Bundesliga zu spielen, bezahlt Achim Feifel seine Ignoranz damit, dass eine neue Stürmerin (für teuer Geld, und das bedeutet eigentlich unnötige Kosten trotz Sparzwangansage des Vorstands) verpflichtet werden muss. Diese Personalie geht garantiert als bollywoodesker Treppenwitz in die Geschichte des Hamburger Frauenfußballs ein.

Nicht weniger ein Treppenwitz der Geschichte ist natürlich der Umstand, dass unter Führung eines liberalen Bürgerschaftsabgeordneten kurzfristig Gelder gestrichen werden, die langfristig höhere Kosten verursachen, allein durch den Umstand, dass niveaumäßig zwischen Regionalliga Nord und 1. Bundesliga, zwischen TSG Burg Gretesch und FF USV Jena, Welten liegen und ein Aufstieg von der Zweiten in die Erste in der kommenden Saison praktisch unmöglich ist. Die Entwicklung in den vergangenen Jahren ging ohnehin schon eher von oben nach unten – Nina Brüggemann und Imke Wübbenhorst sind da nur zwei von vielen Beispielen, die ein Liedchen davon singen können. Die letzten, die sich nach guten Leistungen in der Zweiten für die Erste empfehlen konnten, waren Jobina Lahr und Angelina Lübcke, und beide wechseln jetzt ebenfalls zur Leipziger Konkurrenz. Andere Beispiele für erfolgreiche Aufstiege muss man mit dem Mikroskop suchen, in der kommenden Saison wird es sie realistisch nicht geben.

Diese ganzen Gedanken sind noch der optimistische Teil meines Kommentars, setzen sie doch voraus, dass der HSV-Frauenfußball in den höheren Regionen überhaupt eine Zukunft hat. Sicher ist das nicht. Denn auch in der kommenden Spielzeit wird der Spielbetrieb 1. Bundesliga ein Zuschussgeschäft sein und ein Dorn im Auge des auf Kostenminimierung gepolten Vorstands. Und die Handelnden im Leistungssportbereich, besonders in Sachen Frauen- und Mädchenfußball, müssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie angesichts der praktisch überhaupt nicht stattfindenden Bekanntmachungen und des kaum über den Spieltagskontext hinausgehenden Marketings wirklich alles dafür getan haben, diese Situation zu verhindern, während man in Eimsbüttel beispielsweise in den Schaufenstern der Geschäfte die Plakate von SC Victoria und ETV sehen kann – mit den Logos der Sponsoren darauf.

Wer sagt überhaupt, dass der HSV-Frauenfußball jenseits der Hamburger Verbandsliga nicht in Bälde eingestampft wird? Einem Verein, der sich derart und vor allem öffentlich Machtgehabe und Führungstheater hingibt und in dem sich die größte „Fan“-„Organisation“ grundsätzlich vor Verantwortung wegduckt, während sie ansonsten groß die Besserfan-Klappe aufreißt, kein Fettnäpfchen auslässt und sich von machtgeilen Opportunisten instrumentalisieren lässt, ist alles zuzutrauen. Für den Frauenfußball wäre das tragisch. Denn beim HSV hat der eine Tradition, die bis 1970 zurück reicht, auch wenn die sportliche Erfolgsgeschichte erst rund 25 Jahre später beginnt. Das ist etwas, das der VfL Wolfsburg, 1.FC Köln, Bayer Leverkusen, Hertha BSC Berlin, VfL Bochum oder aktuell Hannover 96 – das offiziell eine „Kooperation“ mit dem Zweitliga-Aufsteiger Mellendorfer TV eingeht – alle nicht von sich behaupten können. In der Bundesliga können sich neben dem HSV nur Bayern München und der SC Freiburg dessen rühmen, und dem Nordrivalen Werder Bremen in der zweiten Liga kann man zumindest den eigenen Aufbau anstelle der Aufnahme einer Abteilung aus einem anderen Club bescheinigen, auch wenn sie gleich in der höchsten Bremer Liga starten durften und so ein Jahr sparten.

Immerhin: Es wäre nicht der erste Hamburger Verein, dessen Mannschaft aus der 1. Bundesliga in den Niederungen verschwindet. Der SC Poppenbüttel gehörte mal zu den Gründungsmitgliedern der zweigleisigen ersten Bundesliga, vor über 20 Jahren. Doch an der Bültenkoppel spielt mittlerweile nur noch eine Kleinfeldmannschaft, und beim einstmals führenden Hamburger Club FTSV Lorbeer Rothenburgsort, dessen Team jahrelang in der Regionalliga spielte und im DFB-Pokal einmal das Halbfinale erreichte, gibt es inzwischen überhaupt keine Frauenmannschaft mehr. Umso bitterer, dass man als Hamburger dann seine Hoffnungen auf Vereine wie Bergedorf 85 und SC Eilbek lenken müsste – letzterer nimmt in diesem Jahr an den Aufstiegsspielen zur Regionalliga Nord teil.

Vielleicht bin ich ja auch nur verwöhnt. Vielleicht ist es vermessen zu glauben, dass der HSV zumindest bei den Frauen mal berechtigte Hoffnungen auf Titel schüren können sollte, wenn schon nicht bei den weitaus besser bezahlten Herren. Vielleicht bin ich arrogant, wenn ich meine, dass der HSV in Deutschland im Frauenfußball eine Hausnummer sein sollte und kein Verein unter vielen. Vielleicht ist es hochnäsig, wenn ich meine, dass es in Hamburg eigentlich nur diesen einen Verein mit Führungsanspruch im Fußball, männlich wie weiblich, geben darf. Aber vielleicht sollte ich mich einfach gar nicht mehr wundern. Denn in zwei Dingen war der HSV schon immer meisterlich: Den Engagierten in den Arsch zu treten und das mit Mühe aufgebaute und mit Händen und Füßen Geschaffene mit dem Hintern wieder einzureißen.

Aber warum bin ich so überrascht und so erschüttert? Eigentlich war es doch in Hamburg noch nie einfach, Frauenfußball-Fan zu sein. Aber seit den jünsten Entwicklungen fällt es zunehmend schwer, die Raute auf der Brust noch mit Stolz zu tragen.

Kommentare:

Jens W., Eingereicht am 01.06.2011 um 12:29: Fuxi, Du triffst mit jedem Satz in Schwarze!

guggste, Eingereicht am 30.05.2011 um 16:00: Ja das ist in der Tat bitter, wenn die Weltmarke Fussball, in einer Weltstadt, auf Provinzniveau zurechtgestutzt wird.

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