Besser spät als nie – was auf diese Zusammenfassung über die Spiele der Gruppe D vom Sonntag gemünzt ist, gilt ebenso für die Australierinnen, die gegen WM-Neuling Äquatorial-Guinea einen Sieg einfuhren und die Chance auf das Viertelfinale erhielten. Hoffnungen in diese Richtung erfuhren bei Norwegen einen dicken Dämpfer. Vor allem aber gedämpft werden müssen die Erwartungen, dass die Schiedsrichterinnen-Leistungen mit der sportlichen Entwicklung mithalten können. Denn was Gyöngyi Gaal aus Ungarn und Kari Seitz aus den USA in beiden Spielen zusammenpfiffen, legt den Verdacht nahe, dass noch ganz andere Kräfte bei diesem Turnier wirken…
Im Nachmittagsspiel trafen in Bochum Australien und Äquatorial-Guinea aufeinander. Die Afrikanerinnen hatten das erste Spiel gegen Norwegen mit 0:1 verloren, auch wegen der unzureichenden Chancenverwertung vornehmlich durch die Ex-Jenaerin und Neu-Potsdamerin Genoveva Anonma. Das zumindest sollte sich an diesem Tag ändern. Doch zunächst waren es die Australierinnen, die sich auf der Anzeigetafel verewigten. In der 8. Minute fing Sally Shipard einen Befreiungsschlag ab und leitete den Ball zu Emily van Egmond weiter, die sofort in den Lauf von Heather Garriock. Die kam aus zehn Metern frei zum Abschluss, der jedoch war grottenschlecht. Trotzdem ließ die afrikanische Keeperin Miriam das Leder prallen, und Leena Khamis staubte zum 1:0 ab. Nach einer Viertelstunde hätte es eigentlich 2:0 stehen müssen. Müssen. Nach einer Szene, die sogar eine Institution wie die FIFA so beschämte, dass sie sich offiziell für ihre Schiedsrichterin Gyöngyi Gaal entschuldigte: Collette McCullum passte links auf Garriock, deren Hereingabe lenkte Khamis an den Pfosten. Und was machte Abwehrspielerin Bruna? Sie nahm den Ball in die Hand, hielt ihn fest, schaute sich um, bemerkte, dass nicht abgepfiffen war, und ließ den Ball fallen. Eigentlich eine klare Sache – Elfmeter wäre die logische Folge gewesen. Aber Gaal, die 2008 das UEFA Women’s Cup-Finalhinspiel zwischen Umeå IK und dem 1.FFC Frankfurt geleitet hatte und mit 36 Jahren zu den erfahrenen Unparteiischen gehört, sah es einfach nicht und ließ Miriam den Ball abschlagen! Ob solcherlei Aktionen mit rechten Dingen zugehen? Ein Ruhmesblatt für den Frauenfußball sind sie jedenfalls nicht, schon gar nicht bei einer WM, die national wie international Beachtung empfängt wie kein Turnier zuvor. Bemerkenswert ist allerdings, dass die FIFA diese Szene ausnahmsweise nicht totschweigt: Selbst im zusammenfassenden Video ist dieses schwarze Kapitel der Weltmeisterschaft nicht rausgeschnitten worden. Bei der FIFA will das was heißen!
Jedenfalls kam, was kommen musste: Fünf Minuten später wähnte Servet Uzunlar einen eroberten Ball sicher, als Anonma nachstocherte, über die strauchelnde Abwehrspielerin hinweg hüpfte, auch an Torhüterin Lydia Williams vorbei tanzte und zum 1:1 einschob (21.). Mit diesem Ergebnis ging es auch in die zweite Halbzeit. Die war drei Minuten alt, als Torschützin Khamis einen langen Ball von Elise Kellond-Knight links erlief und von der Torauslinie in die Mitte flankte. Lisa de Vanna verpasste noch, aber dahinter war Emily van Egmond frei und jagte das Leder ins lange Eck zum 2:1. Damit nicht genug: In der 51. Minute, also nur drei Minuten später, schlug McCallum einen langen Ball von der Mittellinie in den afrikanischen Strafraum, wo de Vanna den Ball mitnahm und mit etwas Dusel und dem Schienbein an Miriam vorbei zum 3:1 ins Tor lenkte. Der Treffer hätte allerdings nicht zählen dürfen, denn dem langen Ball von McCallum war ein Foulspiel von Garriock an Diala vorausgegangen, bei dem die Australierin ihrer Gegenspielerin den Ellenbogen in die Schulter rammte. Später gab es erneut einen Ellenbogenschlag, wieder blieb Diala nach der Aktion von Garriock liegen, und wieder gab es keine Konsequenzen, nicht mal Freistoß. Die richtige Entscheidung wäre eine klare Rote Karte gewesen. Aber Gaal hatte an diesem Tag ohnehin nicht das richtige Augenmaß. Sportlich spannend wurde die Partie in der Schlussphase aber doch noch. Nach einem erneuten Aussetzer von Uzunlar traf Anonma zum zweiten Mal zum 3:2-Anschlusstreffer in der 83. Minute. Aber es blieb bei diesem Ergebnis, über das allerdings weniger gesprochen worden sein dürfte als über die – zumindest nominell – Unparteiische.
Auch Spiel Nummer zwei an diesem Tag zwischen den Gruppenfavoriten Brasilien und Norwegen hatte seinen Skandal. Emilie Haavi verlor in der 22. Minute den Zweikampf mit Daiane, und die Brasilianerin schaltete sofort um. Ihr langer Ball war eigentlich eine sichere Beute für Nora Holstad Berge, die ihn vor Marta ablief. Doch die fünfmalige Weltfußballerin des Jahres griff in die Kiste mit den schmutzigen Tricks und gab der Norwegerin zwei wirkungsvolle Schubser, die sie zu Fall brachten. Kari Seitz ließ es zur Verwunderung aller durchgehen. Vor dem Tor allerdings packte Marta dann wieder ihre fußballerische Klasse aus, stieg gegen Maren Mjelde links über den Ball, rechts über den Ball, legte ihn nach innen und schoss aus acht Metern trocken ins kurze Eck zum 1:0. Natürlich hätte dieses Tor nicht zählen dürfen, aber auch hier erlitt die Schiedsrichterin einen nicht mit normalem Menschenverstand zu erklärenden Blackout. Es war gleichzeitig eine Weichenstellung zugunsten der Südamerikanerinnen, denn bis dahin war Norwegen gleichwertig gewesen. Kurz darauf konnte Ingrid Hjelmseth einen Distanzschuss von Rosana nur mit Mühe zur Ecke abwehren. Zu Beginn der zweiten Halbzeit, die die Wolfsburgerin Leni Larsen Kaurin in ihrer Wahlheimat nur noch von der Bank aus erleben durfte, erwischte Brasilien einen Frühstart. Marta übernahm an der Mittellinie den Ball und marschierte ungestört durch die norwegische Hälfte. Marita Skammelsrud Lund gab nur Hochgeschwindigkeitsbegleitschutz, Mjelde attackierte zu spät, und so konnte Marta im Strafraum quer legen. Rechts war Rosana mitgelaufen und schob den Ball an Hjelmseth vorbei ins lange Eck zum 2:0 (46.). Nach Aussetzern von Ingvild Stensland beim Klärungsversuch und Mjelde beim Rückpass erlief Cristiane im norwegischen Strafraum den Ball, ihr Schlenzerversuch wurde von Mjelde noch abgeblockt. Der Abpraller kam zu Marta, die legte das Leder nochmal an Mjelde vorbei und schob locker zum 3:0 ein (48.). Die Partie war damit entschieden. Brasilien gewann nicht unverdient mit 3:0, sieht man mal von Martas unwürdiger Aktion vor dem 1:0 ab, und zog ins Viertelfinale ein. Norwegen muss im direkten Duell mit Australien am Mittwoch allerdings unbedingt gewinnen, sonst ist das Turnier wegen der schlechteren Tordifferenz bereits nach der Vorrunde beendet.
Zu reden sein wird allerdings über die Schiedsrichterleistungen. Oder besser: Schiedsrichternichtleistungen. Denn was sich allein in der zweiten Spielrunde der Gruppenphase die „Unparteiischen“ Cha Sung Mi aus Südkorea, Gyöngyi Gaal aus Ungarn und Kari Seitz aus den USA abkniffen, spottete jeder Beschreibung. Dabei darf man nicht vergessen, dass bei diesem Turnier der besten Mannschaften der Welt auch die besten Schiedsrichterinnen der Welt eingesetzt werden sollten. Wenn das allerdings die Elite der pfeifenden Zunft ist, steht es nicht gut um das Ansehen des Frauenfußballs, und bei allem Fortschritt des Spiels wird häufig vergessen, dass auch die Schiedsrichterzunft mitwachsen muss. Allein in der Bundesliga ist das schon ein Problem, und der DFB scheint nicht als einziger Verband mit dieser Aufgabe, den Schiedsrichterinnen zu mehr Qualität zu verhelfen und damit auch dem geleiteten Spiel selbst, überfordert.
Aber ein Aspekt soll nicht unerwähnt bleiben: Diese WM findet auch in einem Land statt, das kein wirksames Gegenmittel gegen Wettmanipulationen kennt, und dessen Fußballverband allenfalls zu Alibiaktionen greift. Angesichts der gravierenden Patzer der Schiedsrichterinnen drängt sich vor diesem Hintergrund die Frage auf: Ist das noch Osmers* oder ist das schon Hoyzer**? Eine erneute Manipulation kategorisch auszuschließen, wäre wohl vermessen – auch wenn einer der Drahtzieher der letzten beiden Skandale von 2005 und 2009, Ante Sapina, inzwischen zu einer längeren Haftstrafe verurteilt wurde. Dafür ist das Geschäft mit dem Betrug einfach zu lukrativ, vor allem in Asien. Allein bei einem großen französischen Anbieter liegt die Quote für einen französischen Sieg heute gegen Deutschland bei 5,25:1,53, und Kanada ist mit 1,62:4,5 Favorit gegen Nigeria. Bei anderen Sportwettenanbietern (offiziell) auf Malta oder in Großbritannien sieht es nicht anders aus, und es gibt noch weit mehr Möglichkeiten zur Wettplatzierung als nur das Endergebnis, also auch weit mehr Ereignisse, die sich manipulieren lassen. Auch der Einwand, die Fehlleistungen der Schiedsrichterinnen seien zu offensichtlich, zieht hier nicht: Zum einen, weil die FIFA für gewöhnlich besonders ihre Schiedsrichter vor Kritik schützt, zum anderen aber ist Robert Hoyzer** und seine „Linie“ beim manipulierten DFB-Pokalspiel des SC Paderborn gegen den HSV aus dem Jahr 2004 das wohl beste Beispiel dafür, wie sehr ein Verband die Augen vor der Möglichkeit der Manipulation verschließen kann. Daran konnten auch die rund 2.500 Euro Aufwandsentschädigung pro Spiel, die der DFB damals den Oberklasse-Schiedsrichtern zahlte, nichts ändern. Die Schiris bei dieser WM dürften nicht annähernd so gut entlohnt werden, als dass nicht die eine oder andere bei einem entsprechenden Angebot nicht schwach werden könnte. Eine Nachfrage der Torjäger bei der FIFA, ob der Weltverband die Märkte für Sportwetten beobachtet, um Unregelmäßigkeiten und auffällige Wetteinsätze bzw. Quotenentwicklungen erkennen zu können, blieb bisher jedoch unbeantwortet.
[Anmerkungen:
* Hans-Joachim Osmers leitete 1994 das Spiel zwischen dem FC Bayern München und 1.FC Nürnberg (2:1), bei dem Thomas Helmer ein „Phantom-Tor“ erzielte: Der Ball rollte am Tor vorbei, aber Osmers zeigte ein Tor an; das Spiel wurde später wiederholt, Nürnberg verlor 0:5.
** Robert Hoyzer war 2005 in den ersten Bundesliga-Wettskandal verwickelt, indem er gegen Geld- und Sachzuwendungen Spiele wie das des SC Paderborn gegen den HSV im DFB-Pokal manipulierte. Er wurde daraufhin vom LG Berlin zu zwei Jahren und 5 Monaten Haft verurteilt; die Strafe wurde später vom BGH in Leipzig bestätigt.]