Die WM-Pleite – eine Nachbetrachtung

Ein Kommentar von Fuxi

Die heutigen Halbfinals zwischen Frankreich und den USA, das um 18 Uhr angepfiffen wurde, bzw. Japan gegen Schweden um 20:45 Uhr werden ein erster Gradmesser sein, wie interessant die Frauen-WM ohne das deutsche Team noch ist. Ich vermute, die TV-Quoten werden deutlich niedriger liegen, vielleicht nicht einmal ein Viertel dessen betragen, was am Sonnabend noch beim Spiel gegen Japan gemessen werden konnte. Und das wäre noch ein guter Wert. Auch dem Finale am Samstag dürfte es nicht anders ergehen.

Es war die bittere Erkenntnis des deutschen Frauenfußballs am vergangenen Wochenende: Die Weltspitze spielt um den Titel, und Deutschland guckt neidisch zu. Nach zwei Welt- und fünf Europameistertiteln in Folge war das nicht zu erwarten gewesen. Für die gestiegene Bedeutung des Frauenfußballs in Deutschland spricht jedoch, dass den vierten Tag in Folge die öffentliche Diskussion um das Scheitern, die Folgen und um das Schicksal von Silvia Neid anhält. Natürlich betrifft das auch den HSV, auch wenn die einzige deutsche A-Nationalspielerin zum 1.FFC Frankfurt wechselt. Neben dem Aus hat Kim Kulig auch noch ihren Kreuzbandriss zu verkraften, der ihr Fußballjahr 2011 beendete. Wenn man ein wenig boshaft, aber auch rational durch die HSV-Brille blickt, könnte man anmerken, dass der Wechsel angesichts der Knieverletzung für den HSV durchaus ein Trost ist, wenn auch ein schwacher: Ihr Fehlen in der Hinrunde stellt somit für den Saisonverlauf unter gekürzten Mitteln keine Ausrede und keine Belastung dar.

Die Nachbetrachtung der WM-Pleite ist dennoch auch für einen Hamburger ein Gebot der Stunde. Denn dass der HSV keine aktuelle A-Nationalspielerin mehr stellt – auch nicht für ausländische Teams -, heißt nicht, dass die Tür nach Frankfurt verschlossen ist. Vielleicht wird Carolin Simon ja die nächste Hamburgerin, die auf der großen Bühne verteidigen darf? Insofern ist die Entwicklung der Nationalelf natürlich von Belang, verbunden mit der Hoffnung, dass die richtigen Schlüsse gezogen werden und sich dieses Debakel nicht wiederholt.

Ein Debakel ist es in jedem Fall, vor allem aber eine WM der verpassten Chancen, auf wie neben dem Platz. Nur: Geredet wird zumeist nicht darüber – wohl auch, weil der sich nun selbst als Fachpresse gerierenden Journaille dennoch zumeist der Durchblick fehlt und häufig die Diskussionssubstanz nur durch Beiträge von Potsdams Coach Bernd Schröder einfließt. Ansonsten wird aber immer wieder vom Druck geredet. Die Mannschaft sei mit dem Druck nicht zurecht gekommen, wie auch Günter Netzer kürzlich kund tat.

Wirklich? Diese sich immer wiederholenden Aussagen bringen mich ins Grübeln. Vor allem nach dem Warum. War denn der Druck tatsächlich so überraschend? Brach er wie ein Tsunami (die Japaner mögen mir verzeihen) über die deutsche Mannschaft herein? Waren alle Diskussionen und Entwicklungen so unabsehbar?

Nein. Nicht, wenn man genau hinsah. Zum einen wurde das WM-Turnier, das, anders als die vorherigen, genau in der Sommerpause stattfand, massiv gehypt, von allen Seiten: DFB, Medien und Fans. Vor Beginn des Turniers war die WM fast allgegenwärtig, selbst an Hamburger Litfaßsäulen wurde für den WM-Austragungsort Wolfsburg geworben. Es wurde immer wieder betont, dass Deutschland Doppelweltmeister war. Keiner ging wirklich dagegen vor, aus Angst, als Miesmacher zu gelten und den Hype abzuklemmen, der sich letztlich in Einschaltquoten und in Euro messen ließ. Und auch der offensichtlichste Indikator, die Kartenverkäufe, führten nicht zu der Schlussfolgerung einer gesteigerten öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland. Dabei gab es genug Kritikpunkte, die sich bei genauerem Hinsehen offenbarten.

Da wäre die Personalie Birgit Prinz. Ihr letztes Länderspieltor erzielte sie im November 2010 beim 8:0 gegen Nigeria. Danach blieb sie, auch durch ihre neue Position begründet, in vier Spielen torlos. Vor allem aber in den drei Vorbereitungsspielen des Jahres 2011 blieb sie hinter ihren Möglichkeiten zurück. Auf die Frage nach ihrer Torflaute antwortete sie, sie müsse ja nicht immer Tore schießen, ein kluger Pass, der ein Tor einleite, sei ebenso wichtig. Wer genau hinhörte, erkannte darin jedoch eine typische Aussage: Die Aussage eines Goalgetters in der Krise, der krampfhaft versucht, seine Aufstellung zu rechtfertigen und positive Stimmung zu verbreiten, während es im Kopf ganz anders aussieht. Für alle Seiten wäre es hier schon besser gewesen, deutlich einzugestehen, dass es nicht läuft. Statt dessen entstand hier ein Ansatzpunkt für überflüssige, störende Diskussionen. Ähnlich lag der Fall des „Glamour-Girls“ Fatmire Bajramaj. Auch hier drückten sich alle Beteiligten um klare Worte, einschließlich Silvia Neid, obwohl ihre Schwäche in der Vorbereitung offensichtlich war. Ob ihrer Medienpräsenz wehrte sich Bajramaj-Berater Dietmar Ness gegen Vorwürfe, sie medial verheizt und ihr Leistungsloch hervorgerufen zu haben. Ganz von der Hand zu weisen scheint das jedoch nicht, denn pünktlich mit Beginn des Jahres 2011 sank der Stern der Bajramaj. Und wieder hatte dass sommerlochgeplagte Fußballvolk ein Diskussionsthema vor und während der WM, weil niemand, am wenigsten Silvia Neid, ein klares Wort sprach und gegensteuerte.

Zudem entpuppte sich die Vorbereitungszeit als deutlich zu lang bemessen. Die Mannschaft war lange zusammen, und doch scheiterten einfachste Pässe an Ungenauigkeiten, als wäre die Truppe gerade vor dem jeweiligen Spiel zusammengekommen und hätte sich ansonsten anderen Freizeitbeschäftigungen gewidmet. Dabei sollte man meinen, dass eingeübte Dinge mit traumwandlerischer Sicherheit klappen. Doch wie so oft liegt der Teufel im Detail. Denn zu den ganzen Trainingseinheiten gesellte sich der Faktor Wettkampf. Und den hatten achtzehn der einundzwanzig Spielerinnen im Kader drei Monate lang nicht gehabt, seit dem Pokalfinale am 26. März. Bianca Schmidt, Babett Peter und Fatmire Bajramaj durften zumindest noch drei Spiele in der Champions League absolvieren, wobei die siebenwöchige Pause zwischen Halbfinalrückspiel und Endspiel ihre deutlichen Spuren hinterließ und Potsdam gegen Lyon verlor. Zumindest bei Schmidt und Peter sah man diese Wettkampfpraxis aber auch bei ihren WM-Auftritten: Sie fielen am wenigsten ab. Andere präsentierten sich nach vierzehn Wochen ohne Drucksituation im Kopf deutlich abgestumpfter, beeinflussbarer. Zudem lief die heiße Phase der Vorbereitung mit den drei Tests und 13:0 Toren deutlich zu glatt, zu einfach und zu wenig fordernd. Aber auch hier waren schon die Nuancen zu sehen, die letztlich verkannt und mit entscheidend für das WM-Aus waren.

Das sah man schon im Eröffnungsspiel gegen Kanada. Neun Spiele mit neun Siegen gab es zuvor, zuletzt ein 5:0 im Test. Das 2:0 bis zur 82. Minute war nicht überragend, aber auch in dieser Partie zeigten sich schon Schwächen, die ein Titelaspirant in der Vorbereitung abgestellt haben sollte. Wie die erste klare Chance von Sinclair nach fünf Minuten. Doch plötzlich war das Spiel gegen den vermeintlich leichten Gegner nach Sinclairs Freistoßtreffer wieder offen, und die deutsche Mannschaft wurde nervös. Das war der erste Kratzer in der nur scheinbar heilen Welt, und zum ersten Mal während der WM wurde die Personalie Birgit Prinz diskutiert. Dass die Ursache für die Nervosität an der Kulisse gelegen haben soll, erscheint mir als Schutzbehauptung, denn wer bei Länderspielen häufiger vor über 10.000 Zuschauern spielt, den sollten 76.000 im Olympiastadion auch nicht mehr schrecken. Vor dem Nigeria-Spiel redeten alle dann über das 8:0 im Testspiel 2010 – und wieder entpuppte sich der Gegner als harte Nuss, sogar noch als härtere, was die Gangart betraf. Auf die war die Mannschaft überhaupt nicht vorbereitet und ließ sich davon beeindrucken. Geschweige denn, dass die den Kampf annahm. Nur ein eher glückliches Tor von Laudehr rettete den Sieg in einer unansehnlichen Partie. Und wieder wirkten die gleichen Mechanismen. Vor allem in Sachen Birgit Prinz.

Das Spiel gegen Frankreich weckte wieder Hoffnungen, doch das 4:2, das die Offensive herausspielte, übertünchte all das, was schief gelaufen war, vor allem die Defensivleistungen bei Standards. Es dämpfte sogar die Prinz-Diskussion. Dennoch war Druck im Kessel. Druck, der weniger auf den Erwartungen der Meute fußte als vielmehr auf den eigenen. Das zeigte sich dann auch im Spiel gegen Japan, umso schlimmer, je länger es 0:0 stand. Der Ausgang ist bekannt. Wobei Silvia Neid auch ihr Übriges tat, um möglichst keine Impulse zu setzen und den Druck auf die Japanerinnen nicht zu erhöhen. So mutlos sich die Elf auf dem Platz präsentierte, so mutlos war auch die Bank, dabei wäre es die offensichtliche Variante gewesen, auf zwei Spitzen und ein anderes Konzept als die erfolglosen hohen Bälle zu setzen. Aber warum sah keiner den Wald vor lauter Bäumen? Was war da im Kopf los? War tatsächlich in der langen Vorbereitung versäumt worden, die Spielerinnen intensiv und individuell auf die möglichen Szenarien vorzubereiten? Was war die Arbeit von Mentalcoach Arno Schimpf? Ihn immerhin zitierte das ZDF ihn online mit dem Satz: „So wie man die Muskeln trainiert, kann man auch die Festplatte im Kopf trainieren.“ Reichte überhaupt ein einziger Psychologe für Mannschaft und Trainerstab aus? Fragen über Fragen. Die Antwort – sie lag auf dem Platz.

Und nun müssen die Clubs mit den Folgen der WM leben. Die Beachtungseffekte werden sich nach der deutlichen Trennung zwischen Bundesliga-Saison 2010/2011 und dem Turnier sowie dem frühzeitigen Ausscheiden kaum auf die Liga übertragen lassen – eine Riesenchance, die da vorüber rauschte. Die Weltklasse findet man nicht in der Bundesliga, so das Signal. Dabei gibt es bei Turnieren im eigenen Land durchaus jede Menge positive Signale, selbst wenn der Titel nicht gewonnen wird. Das lehrte das Sommermärchen 2006, als Deutschland im Halbfinale scheiterte, ebenfalls in der Verlängerung. Dennoch wurde nicht so sehr diskutiert. Das Mindestmaß wurde ja erreicht, also war es kein Fehlschlag. Verliert man im Finale, war’s Pech. Eine Niederlage im Halbfinale und das Erreichen von Platz drei, wie bei der Klinsmann-Truppe, ist immerhin ein ehrenvoller Abschied mit Moral. Verliert man auch das Spiel um Platz drei, dann war nach der Halbfinalenttäuschung eben die Luft raus. Aber wie man es dreht und wendet: Beim Aus im Viertelfinale gibt es keinen positiven Spin. Nichts, das die Enttäuschung und das Scheitern abmildern, den Eindruck des Versagens korrigieren kann. Der Liga wird das frühe Aus keinen Schub geben, denn die Japanerinnen Saki Kumagai (Frankfurt), Kozue Ando (Duisburg), Yuki Nagasato (Potsdam) sowie die Schwedinnen Landström, Thunebro (beide Frankfurt) und Göransson (ehemals HSV, demnächst Potsdam) sind keine Zugpferde der Liga – das sind die deutschen Nationalspielerinnen, wenn sie geballt auftreten.

Silvia Neid erwog meiner Meinung nach zurecht den Rücktritt, den sie nun aber nicht vollzieht. Leider passt das konsequent in einen der größten Fehler, den sie hat: Sie ist nicht fähig zur Selbstkritik. Seit dem Ausscheiden vermittelt sie den Eindruck, sie sei überzeugt, alles richtig gemacht zu haben. Statt dessen schiebt sie die Schuld auf Schicksal und Pech – und auf die 20-jährige Alexandra Popp. Aber wenn sie alles richtig gemacht hat, ist dann der deutsche Fußball nicht besser als Platz fünf bis acht? Oft haben Neids Unterstützer auf ihre Verdienste hingewiesen. Aber Verdienste und Titel der Vergangenheit sind eine Sache, die Zukunft eine andere. Der Umfang der Kritik zeigt aber auf, dass sie sie nicht versteht. Aus den eigenen Fehlern nicht zu lernen, ist aber fatal. „Shame on you, if you fool me once – shame on me, if you fool me twice“ – eine alte Weisheit: Asche auf mein Haupt, wenn ich den gleichen Fehler zweimal mache. Doch das droht, wenn Neid keine Lehren aus dem Aus zieht.

Deutschlands Frauenfußball nach Prinz kann immer noch Europa- und Weltspitze sein, aber sollte man wirklich das Risiko eingehen, erst bei der EM zu sehen, dass falsche Schlussfolgerungen gezogen wurden? Ein erneutes frühes Aus in zwei Jahren wäre noch verheerender als das verpasste Olympische Turnier, ein nochmaliger Schaden auf Jahrzehnte irreparabel. Gerade im Bemühen, der breiten Bevölkerung zu vermitteln, den Frauenfußball endlich ernst zu nehmen.

Die Bundesliga hat durch dieses gesamte Turnier – Organisation wie Ausgang – schon Schaden davon getragen. Nun müsste man ihn doch minimieren statt lavieren! Aber genau das passiert nicht. Denn auch Theo Zwanziger hat die Hosen voll vor den Konsequenzen, nämlich unangenehmen Nachfragen, warum Neids Vertrag kurz vor der WM noch unnötig verlängert und sie trotz des Scheiterns aus finanziellen Gründen unkündbar wurde (man munkelt von 700.000 Euro Jahressalär!). Ein Umstand, der durchaus dazu geeignet ist, bei der nächsten Präsidiumswahl einen Gegenkandidaten zu wählen.

So bleibt denn nur eines: Hoffnung. Ich kann wirklich nur hoffen, dass das nicht in einer Katastrophe endet. Auch für aktuelle und künftige Nationalspielerinnen, die dann die Suppe auslöffeln müssen.

Kommentare:

guggste, Eingereicht am 14.07.2011 um 11:19: Genau so ist es, leider.
Ob Frauenfussball deutscher Prägung noch Weltspitze ist? Vermutlich nur dann, wenn in der Bundesliga endlich mehr Spielerinnen japnischen Typs ausgebildet werden.

Ulrich Doepner, Eingereicht am 13.07.2011 um 23:04: Ein Beitrag, der es auf den Punkt bringt. Schade das sowohl die schreibende wie auch die redende Zunft des Journalismusses nicht in der Lage ist, die Situation so zu analysieren.

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