Vor dem Rückrundenauftakt gegen Holstein Kiel II. zeigte sich Regionalliga-Coach Peter Schulz skeptisch. Er erwartete ein schweres Spiel, und wie so oft sollte er damit Recht haben. In der Tabelle sah das Bild eindeutig aus: HSV III. Erster, Kiel II. Neunter. Klare Rollenverteilung? Schulz bezweifelte das und verwies voller Respekt auf seine holsteinische Kollegin Svenja Nefen.
Zudem wusste er seine Mannschaft einzuschätzen: Zwar waren Torhüterin Katrin Schwing und Birte Anhenn wieder dabei, dafür fehlten Rabea Garbers und Lara Wolff langfristig. Entsprechend stand neben der zweitligaerfahrenen Vanessa Hamed auch B-Juniorin Fjolla Gara in der Startelf – wobei: Für Letztere war es auch schon der fünfte Ligaeinsatz, der zweite in Folge von Beginn an. Eine Personalie allerdings verriet die ganze Misere: Auf der Bank saß als vierte Spielerin die 41-jährige Anja Lassen aus der Fünften, die in einer 7er-Mannschaft auf Kleinfeld kickt. Was sich zunächst possierlich ausnimmt, relativiert sich aber schnell, wenn man weiß, dass Lassen zum 1997er Bundesligakader des HSV gehörte und auch in der Regionalliga für die Rothosen auflief.
Das Spiel hatte von Beginn an ein unglaubliches Tempo. Kein Taktieren. Kein Abtasten. Dennoch gab es in den ersten zwanzig Minuten genau eine Torchance, als der HSV einen Befreiungsversuch abblockte, Maike Timmermann den Ball erlief und aus zwölf Metern halbrechts flach abzog. Eva Lotta Ravn im Tor von Holstein Kiel II. war aber rechtzeitig unten. Der HSV hatte mehr Ballbesitz. Auch, weil Kiel sich tief hinten rein stellte, kompakt zu stehen versuchte und auf Kontermöglichkeiten wartete. So war es sehr mühsam für die Rothosen, sich auf dem heimischen Kunstrasen Torgelegenheiten zu erspielen. Die beste entstand aus Zufall. In der 20. Minute zog Nadine Odzakovic aus 25 Metern stramm ab. Am Strafraum fälschte Gönna Gabriel das Geschoss ab und lenkte es in hohem Bogen gegen die Laufrichtung von Ravn. Der Ball kam am rechten Pfosten runter, Ravn sprang und patschte die Kugel an den Pfosten und sicherte sie sich im Nachfassen vor der heranrauschenden Fjolla Gara. Aber: War der Ball drin gewesen? Gara meinte später ja, Fotograf Uwe Garbers, der hinter dem Tor stand und beste Sicht hatte, verneinte hingegen. Der HSV reklamierte auch nicht, also lag Schiedsrichterin Sabrina Grimmel-Bendix wohl richtig.
Den Platzherrinnen fehlte das zwingende Moment, um den dichten, beinahe 22-beinigen Abwehrriegel der Gäste zu knacken. Sie mussten sie zu Fehlern zwingen. Wie Timmermann in der 28. Minute, als sie erfolgreich einem verlorenen Ball nachsetzte, ihn gewann und dann quer legte. Ein Kieler Abwehrbein war dazwischen, und die aufgerückte Pajtesa Kameraj kam aus zehn Metern zum Schuss, der aus spitzem Winkel aber links am Tor vorbei ging. Ansonsten waren Distanzschüsse das prägende Element. Von rechts passte Paula Ziselsberger zurück zu Vanessa Hamed. Die legte mit der Sohle zurück, und Odzakovics strammes Pfund aus 20 Metern verfehlte ebenfalls den Kasten (32.). Vier Minuten später musste Kameraj erneut aus 25 Metern abziehen, weil ihr die Anspielstationen ausgingen. Der Schuss war kein Problem für Ravn. In der 37. Minute zog Odzakovic einen Freistoß vom linken Flügel direkt über die Latte, und keine 60 Sekunden später fing Ravn einen 23-Meter-Schuss von Hamed.
Die Begegnung erinnerte schwer an die Niederlage gegen den VfL Oythe. Damals war der HSV ausgekontert worden und hatte seine erste Pleite kassiert. Und nun kam Holstein Kiel II. erstmals gefährlich vor das HSV-Tor. Mit einer Chance, die fatal an das zweite Oyther Tor erinnerte. Eve Saine spielte einen Ball kurz vor der Mittellinie diagonal hinter die Viererkette. Christina Werbke überlief Tanja Thormählen und trieb den Ball in den Strafraum. In Schussposition versuchte sie es aber dennoch nicht selbst – was beinahe unweigerlich das 0:1 zur Folge gehabt hätte -, sondern versuchte nochmal quer auf die mitgelaufene Emine Ibrahimi abzulegen. Doch Denise Meinberg konnte noch eingreifen und zur Ecke retten (38.). Tiiiief durchatmen! Aber eine solche Szene verdeutlichte auch, warum Kiel da unten stand. Trotz dieser Szene trieb Peter Schulz sein Team weiter nach vorn, verlangte „Druck! Druck!!!“ und schnelle Ballgewinne. Die letzte Chance des ersten Durchgangs hatte wieder der HSV. Nach Ablage von Timmermann schoss Gara aus 24 Metern rechts vorbei (40.).
Holstein machte es den Hamburgerinnen schwer. Chancen gab es zumeist nur von außerhalb des Strafraums, und die Abschlüsse aus der Distanz hatten durchaus eine gewisse Streuung. Ein Rückstand zur Pause wäre unverdient gewesen, denn die Hanseatinnen waren das bessere, spielbestimmende Team. Es fehlten jedoch die klaren Chancen, und die Standardsituationen, in denen der HSV mit kopfballstarken Spielerinnen wie Timmermann, Thormählen und Meinberg für Gefahr hätte sorgen können, wurden zu ungenau ausgeführt. Dennoch: Standard-Ausführende Nadine Odzakovic war auffälligste und stärkste Spielerin ihres Teams, rannte sich die Lunge aus dem Leib, zog die Verantwortung auf sich und marschierte vorbildlich voran. Nebenfrau Hamed unterliefen hingegen einige unnötige Ballverluste. Die Abwehr verstand es – mit einer Ausnahme -, die Gegenzüge der Gäste weit vor dem eigenen Tor zu ersticken. Vorn hatte es Timmermann gegen die massive Abwehrarbeit sehr schwer, sorgte dennoch mit ihrem Engagement für Unruhe. Ein wenig fehlte ihr auch die Unterstützung, denn die schnelle Paula Ziselsberger konnte ihre Stärken in dieser Enge nicht ausspielen, und auch die „Küken“ Gara und Teixeira Pinto hatten Mühe, ihr Spiel aufzuziehen, rechtfertigten jedoch ihre Berücksichtigung immer wieder mit guten Aktionen.
Beide Teams gingen unverändert in den zweiten Spielabschnitt. Es änderte sich auch sonst nichts am Spiel – außer dass der HSV nun von links nach rechts spielte. Möglichkeiten blieben Mangelware. Nach Zuspiel von Hamed wollte Timmermann abziehen, rutschte aber weg, und der Kullerball stellte Ravn nicht vor Schwierigkeiten. Sie mussten weiter versuchen, Kieler Fehler zu erzwingen, die Gäste unter Druck zu setzen. Dafür befahl Schulz nach 55 Minuten lautstark eine in der Halbzeitpause besprochene Umstellung. Und sie mussten geduldig sein. Das war bis dahin die größte Herausforderung. In der 63. Minute brachte Odzakovic einen Freistoß von der linken Seite an den Fünfmeterraum. In Flippermanier flog der Ball durch die Gefahrenzone, und aus dem Gewühl war plötzlich die aufgerückte Verteidigerin Denise Meinberg da, köpfte aus drei Metern und traf zum erlösenden 1:0! Und die Rothosen versuchten sofort nachzusetzen. Nur eine Minute später legte Timmermann mit der Sohle zurück, doch Ravn hielt Odzakovics Schuss. Dann schloss Kameraj ein Solo aus 12 Metern halbrechts ab, und wieder war Ravn da (67.).
Holstein Kiel musste nun kommen, musste nun öffnen, während der HSV wieder auf die Startformation zurückgestellt hatte. Nefen brachte Natalie Schnatz für Jenny Riemer ins Spiel. Und die Neue sorgte für ordentlich Wirbel. Drei Minuten nach ihrer Hereinnahme zog sie aus 23 Metern ab, und der Ball wurde richtig gefährlich, weil Odzakovic abfälschte. Aber Schwing reagierte schnell genug und schnappte sich dieses krumme Ding (72.). Der HSV bekam mit dem druckvollen, schnellen Rausrücken der Gäste große Probleme, wurden zunehmend nervöser. Dennoch wollte Schulz nicht wechseln. Poker? Kalkuliertes Risiko? Die, die auf dem Platz standen, mussten es allein reißen. Sie kämpften auch. Sie wollten diese drei Punkte unbedingt behalten. Vielleicht war die 80. Minute eine Schlüsselszene: Ibrahimi spielte einen langen Ball auf Saine in die Tiefe hinter die Abwehr. Schwing rannte aus dem Kasten und warf sich der Gästestürmerin todesmutig entgegen. Mit Erfolg, sie bekam vor Saine an den Ball und verhinderte so den Ausgleich.
Die galoppierende Offensive Holstein Kiels bot jetzt eigentlich Räume für Konter. Die aber scheiterten meist an Ungenauigkeiten, und statt Entlastung zu schaffen, ging es sofort wieder in die andere Richtung. In der 84. Minute konnte der HSV sich mal wieder befreien. Hamed spielte den Ball an den Strafraum, Timmermann behauptete ihn und passte dann quer. Ziselsberger, im zweiten Spielabschnitt deutlich verbessert, schoss dann aber rechts vorbei. Dann kam Holstein wieder. Mohr schlug einen langen Freistoß in den Strafraum. Meinbergs Kopfballabwehr war viel zu kurz und landete genau vor den Füßen von Ibrahimi. Die zog verdeckt volley aus dreizehn Metern ab, aber Schwing war unten und hielt das 1:0 fest (87.). Die letzte Chance hatten die Rothosen. Unfreiwillig spielte Teixeira Pinto links lang. Den eigentlich abgeschriebenen Ball erlief Timmermann im Strafraum und knallte sofort mit links aufs Tor. Ravn musste all ihr Können aufbieten, um das Leder im Flug zu fangen (88.).
Die Erleichterung beim Abpfiff war schwer in Worte zu fassen. Der Sieg des HSV war verdient, weil sich Kiel erst nach dem Tor aus der Mauertaktik löste und die Hamburgerinnen dann erst in Schwierigkeiten brachte. Der Tabellenführer war in den letzten zwanzig Minuten nicht so souverän, wie eine erfahrene Mannschaft es vermutlich gewesen wäre. Für die Lernkurve wird diese Partie wohl aber wirklich etwas gebracht haben. Die Körpersprache des Teams nach Spielende verriet viel über das Spiel: Es hatte viel Kraft und Nerven gekostet. Aber es hatte sich wirklich gelohnt. Vor allem hatte sich die Mannschaft für den großen Aufwand selbst belohnen können. Das Wort des Tages lieferte der Trainer: „Das war wieder was für’n Kardiologen heute…“ Besser konnte man dieses Spiel tatsächlich nicht zusammenfassen.
Statistik:
Hamburger SV III.: Schwing – Thormählen, Meinberg, Winter, Kameraj – Hamed, Odzakovic – Teixeira Pinto, F. Gara, Ziselsberger – Timmermann
Kieler SV Holstein II.: Ravn – Röder, Gabriel, S. Mohr, Fuhrmann – Riemer (69. Schnalz), Vogt, Bahr, Werbke – Saine, Ibrahimi
Schiedsrichterin: Sabrina Grimmel-Bendix (Buchholz) mit Daniel Albrecht und Tim Blazeczak
Tor: 1:0 Meinberg (63.)
Gelbe Karten: Keine