Das große Ereignis des Jahres 2011 rückt immer näher. Als Torjäger bin ich schon einige Male auf die bevorstehende WM eingegangen und habe Kritik geübt. Dennoch wird sie ein Großereignis werden, das größte in diesen zwölf Monaten in Deutschland, so viel steht fest. Und auch eines wissen wir jetzt bereits: Nachdem der HSV in Sachen Nationalspielerinnen in den letzten Jahren sehr verwöhnt war, droht nach dem Abpfiff des Finales die große Leere.
Wer sich in den vergangenen Monaten die Nominierungen für die Nationalmannschaften der verschiedenen Altersklassen angesehen hat, wird eines feststellen: Der HSV ist kaum vertreten. Kim Kuligs Teilnahme an der Weltmeisterschaft ist sicher, es sei denn, sie verletzt sich noch, was wir alle nicht hoffen. Doch nach dem Turnier ist für sie wie auch für die schweizerische Nationalspielerin Ana-Maria Crnogorcevic das Thema HSV beendet – beide wechseln nach Frankfurt. Die Zukunft der schwedischen Nationalspielerin Antonia Göransson ist zumindest vertraglich unklar; bei der Verpflichtung wurde offen diskutiert, dass sie den HSV wieder verlassen kann, wenn sie sich nicht wohlfühlt. Es kann also sein, dass der Club am 18. Juli ohne A-Nationalspielerin auskommen muss. U23 und U21 sind im Vorlauf des Großevents ohne Termine, zuletzt war immerhin Marisa Ewers dabei. Bleiben also nur die jüngeren Jahrgänge.
Und dort sind die Nominierungen der letzten Monate doch recht übersichtlich. In der U19 beispielsweise kam die letzte Hanseatin am 27. Oktober 2010 im Länderspiel in Schweden zum Einsatz. Es waren sogar drei: Carolin Simon stand beim 1:1 in der Startelf, wurde später durch Nina Brüggemann ersetzt, und Anna Hepfer debütierte später noch. Alles gut also? Am vergangenen Wochenende gewann das deutsche Team gegen die Niederlande 2:0. Ohne eine Hamburgerin. Simon fehlte wegen einer Abireise, Hepfer stand auf Abruf, Brüggemann war gar nicht nominiert. Über mangelnde Alternativen konnte sich Maren Meinert jedenfalls nicht beklagen.
Bei der U17 sieht es kaum besser aus. In dieser Saison werden die Lehrgänge häufig mit der U16 zusammen veranstaltet. Und wenn eines auffällt, dann der Umstand, dass Lena Petermann als einzige Hamburgerin bei der U17 dabei ist. Sie war auch die letzte aus der Hansestadt, die in einem Spiel zum Einsatz kam: Beim WM-Aus gegen Nordkorea. Bei den beiden Länderspielen in Israel Ende Dezember war sie nicht dabei, dafür brillierte die Sindelfingerin Fabienne Dongus mit fünf der insgesamt neun deutschen Tore. Noch schwärzer sieht es bei der U16 und U15 aus – dort hat der HSV gar nichts mehr zu melden. Die letzte HSVerin, die hier mal in Frage kam, war Nadine Moelter im Rahmen einer Sichtung.
Wer meine kleine Aufzählung aufmerksam verfolgt hat, wird eines bemerkt haben: Keine der angesprochenen Spielerinnen hat den eigenen Nachwuchs durchlaufen. Kim Kulig kam aus Sindelfingen, Carolin Simon aus Calden, Nina Brüggemann vom TSV Uetersen, Anna Hepfer vom SC Vier- und Marschlande, Lena Petermann vom SV Ahlerstedt/Ottendorf, Marisa Ewers von Altona 93. Nur Moelter kommt aus den eigenen Reihen, spielt ansonsten aber beim DFB keine Rolle. Gleiches gilt für die aktuelle Nachwuchsspielerin Paulina Bode. Ansonsten kommt aus der eigenen Nachwuchsförderung noch Claudia Teixeira-Pinto – die wurde für die portugiesische U19 gesichtet und getestet.
Dabei beweist der aktuelle Bundesligakader, dass auch der eigene Nachwuchs beim DFB eine gute Rolle spielen kann. So hat Janina Haye beispielsweise fast alle Nachwuchskader durch. Ähnliches gilt für Aferdita Kameraj. Angelina Lübcke schaffte es in die U17 und U19. Silva Lone Saländer spielte in der U18, U19 und U21. Die frühere HSVerin Gina Heinßen war U17-Nationalspielerin. Auch Rückkehrerin Friederike Engel kennt sich beim DFB aus und kam aus dem eigenen Nachwuchs.
Was jedoch zu denken gibt: Im Norden gibt es durchaus viele Talente. Wenn vom 16. bis 18. März in Kaiserau die U15 abermals gesichtet wird, finden sich eine Reihe Nordlichter: Jennifer Michel vom WSV Tangstedt bei Norderstedt, Celine Danisch von Werder Bremen, Pauline Bremer vom SVG Göttingen und Verena Volkmer vom TuS Woltersdorf. Vorher gibt es gleichen Orts noch einen Sichtungslehrgang mit Samanta Carone von Holstein Kiel, Sarah Guzmann von Werder Bremen, Lena Rathmann von der TSG Ahlten, Michelle Ulbrich vom BTS Neustadt aus Bremen, Vivian Wejner vom VfL Wolfsburg, und sogar eine Hamburgerin ist dabei: Sofia Hassam vom Farmsener TV!
Nicht viel anders sieht es beim Sichtungslehrgang der U16 und U17 in Duisburg aus, wenn sie am Montag zusammenkommen: Kea Eckermann von Werder Bremen, Michelle Einfeldt vom FSC Kaltenkirchen bzw. den Jungs von Eintracht Norderstedt, Lisa Förster vom VfL Wolfsburg, Julia Kibbel von Holstein Kiel. Beim Kaderlehrgang zwei Wochen später wird zwar Lena Petermann die Farben des HSV hochhalten, aber das tun Marie Becker von Holstein Kiel, Merle Frohms von Fortuna Celle und Manjou Wilde von Werder Bremen auch. Im Dunstkreis der U19 befindet sich neben Anna Hepfer auch Torhüterin Victoria Bendt von Holstein Kiel.
Zwei Vereinsnamen tauchen in dieser Aufzählung immer wieder auf: Holstein Kiel und Werder Bremen, zwei Zweitligisten. Interessanter ist jedoch, dass zwei Namen vom FSC Kaltenkirchen und WSV Tangstedt kommen. Dazu muss man wissen: Der WSV Tangstedt hat gar keine Frauenmannschaft, der FSC Kaltenkirchen spielt bei den Frauen in der Kreisliga. Immerhin: Die FSC-B-Mädchen messen sich unter anderem mit dem FFC Oldesloe. Sowohl Jennifer Michel als auch Michelle Einfeldt spielen in Jungen-Teams. Wer einzelne Mädchen in Jungenmannschaften spielen sieht, dem fällt eines sofort auf: Körperlich unterscheiden sich die Mädchen gravierend von Altersgenossinnen, die nur mit Juniorinnen spielen. Sie wirken deutlich robuster, und auch technisch scheinen die Jungs abzufärben. Bei denen, die ich bisher beobachten durfte, waren die Mädels keine Anhängsel oder wurden mitgeschleppt – im Gegenteil: Leistungsmäßig marschierten sie vorne mit.
Nun ist das kein Konzept, das für den HSV eine Lösung darstellt. Dafür hat der Verein einfach zu viele Nachwuchsspielerinnen. Ein erster Schritt war die Teilnahme der jeweils 1. B-, 1. C- und in dieser Saison auch 1. D-Mannschaft im Jungenspielbetrieb. Einen Soforteffekt sollte man jedoch nicht erwarten; eine solche Maßnahme wirkt sich eher langfristig aus. Entsprechend werden etwaige Erfolge erst mit der Zeit sichtbar werden. Nötig ist es, bedenkt man, dass sich die aus dem Nachwuchs Aufgestiegenen fast ausnahmslos in dieser Saison zwar in der Regionalliga bewährt haben, der Sprung in die zweite oder gar erste Bundesliga trotzdem viel zu groß ist. Nicht zuletzt ist es auch eine Sache des Prestiges, Nationalspielerinnen abzustellen. Und da kommen kurzfristig schwierigere Zeiten auf den HSV zu.
Ein weiterer Aspekt ist dabei auch nicht außer Acht zu lassen: Eine fundierte Nachwuchsförderung begünstigt die Unabhängigkeit von Zuschüssen aus den Profi-Einnahmen. Angesichts der Möglichkeit, dass die Fußballmillionäre auch in dieser Saison die Qualifikation für einen internationalen Wettbewerb verpassen könnten, sind finanzielle Spielräume für namhafte Verstärkungen unter Umständen kleiner als erhofft. Was das letzten Endes bedeutet, kann sich jeder selbst ausrechnen. Und zum guten Schluss bedeuten internationale Einsätze für die Spielerinnen auch immer ein Stück Erfahrung, die sie bei der Entwicklung ihrer fußballerischen Laufbahn bereichern.
Natürlich hat die Talentförderung auch eine Kehrseite: Sie kostet Geld. Für kompetente Übungsleiter und entsprechende Trainingsbedingungen zum Beispiel. Buchhalterisch gesehen, sind das Kosten, denen keine direkten Einnahmen gegenüber stehen. Aber eine vom DFB für die Lizenz vorgeschriebene Juniorinnenmannschaft verursacht, selbst wenn sie „just for fun“ spielt, noch immer Kosten – nur dass diese dann keinerlei Rendite erbringt. Für die nachhaltige Entwicklung ist es also sinnvoll, den eigenen Nachwuchs sportlich bestmöglich auszubilden. Wenn man bedenkt, dass sich der VfL Wolfsburg eine Anna Blässe nach Medienberichten rund 20.000 Euro hat kosten lassen, kann man sich ungefähr vorstellen, wie wichtig die Nachwuchsförderung sein kann, wenn man dadurch Transfers in diesen Größenordnungen nicht nötig hat. Nebeneffekte wie eine enge Bindung der Spielerinnen zum Verein und der Stolz der Fans kommen noch hinzu.
Anstrengungen für eine konsequente, optimale Ausbildung der Juniorinnen in allen Altersklassen lohnen sich also.
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Kommentar:
guggste, Eingereicht am 02.03.2011 um 15:30: Stimmt der lukrative Jugendspielermarkt ist bei den Frauen noch nicht erschlossen.