Bereits früh in der Saisonvorbereitung stand für die Bundesligamannschaft des HSV ein anspruchsvoller Test auf dem Plan. Die „Racibórskie Towarzystwo Pilkarskie Unia“ (übersetzt etwa: „Racibórzer Fußballvereinigung Union“), kurz: RTP Unia Racibórz, absolvierte ein Trainingslager in Norddeutschland und testete zweimal gegen Bundesligisten, eingefädelt vom Unia-Assi und früheren Co-Trainers der HSV-Zweiten, Bosko Lucic. Die Mannschaft aus Schlesien war kein kleiner Happen: In den vergangegen drei Jahren holten sie die polnische Meisterschaft in Serie und nehmen damit 2011 zum dritten Mal an der Champions League teil. Dazu kommt, dass sie ihr erstes Testspiel gegen den VfL Wolfsburg mit 2:1 gewannen und dabei einen 0:1-Rückstand umbogen. Der „neue HSV“ war damit also gefordert.
Beim Anpfiff standen bei den Gästen drei Neue im Team: Nationalspielerin Natalia Chudzik kam von Medyk Konin, dazu WM-Teilnehmerin Gloria Chinasa Okoro aus Äquatorial-Guinea. Die dritte im Bunde war Agata Tarczynska von AZS Wroclaw, die von 2004 bis 2006 das Trikot des 1.FC Saarbrücken in der 2. Bundesliga Süd trug. Gegen Wolfsburg erzielte sie beide Tore für Unia. Der HSV war im Vergleich zur Vorsaison gleich mit sechs neuen Gesichtern auf dem Feld. Anna Hepfer, Henrike Meiforth und Maike Timmermann waren aus der abgeschafften Zweiten aufgerückt, Marie-Louise Bagehorn und Jessica Wich kamen von Turbine Potsdam und Friederike Engel nach dem Studium aus den USA zurück. Lena Petermann fehlte wegen der U17-EM, Christine Schoknecht sah, auf Krücken gestützt, zumindest von der Seitenlinie aus zu. Geleitet wurde das Spiel vom Hamburger Schiedsrichtergespann aus Jaqueline Herrmann vom TuS Osdorf und ihren Assistentinnen, den Schwestern Katrin und Kristina Nicolai von Duwo 08. Die Partie wurde allerdings mit 35 Minuten Verspätung angepfiffen – Unia Racibórz war im Stau stecken geblieben.
Als es dann endlich los ging, erwischte Unia Racibórz den besseren Start. Sie spielten nach vorn und drängten den HSV gleich in eine defensive Rolle. In der 7. Minute spielte Anna Hepfer, die als Linksverteidigerin auflief, in der Vorwärtsbewegung einen Fehlpass in der gegnerischen Hälfte. Unia leitete den Konter ein, der nach rechts getragen wurde. Auf Höhe des Strafraums flankte Ivana Bojdova, slowakische Nationalspielerin, flach in die Mitte. Am Strafraum verpasste Janina Haye den Ball, der zu Chinasa kam. Nach kurzem Dribbling kam die WM-Spielerin frei zum Abschluss und überwand Bianca Weech aus fünfzehn Metern zum 0:1.
Auch in der Folge war Racibórz spielbestimmend. Allerdings gelang es dem HSV zunehmend besser, gefährliche Situationen zu vermeiden. Nach vorn ging hingegen so gut wie gar nichts. Nach einer Viertelstunde verpasste Maike Timmermann eine Hereingabe von Carolin Simon vom linken Flügel, das war für lange Zeit die beste Hamburger Szene. Erst nach 25 Minuten wurden sie erstmals gefährlich, als Aferdita Kameraj nach einer Simon-Ecke links vorbei köpfte.
So langsam fand der HSV besser ins Spiel und wurde dominanter. Defensiv stand das Team von Achim Feifel ordentlich, ließ Racibórz nur noch zu einem Abschluss aus der Defensive kommen. Den Schuss von Patrycja Pozerska hielt Weech nach 28 Minuten problemlos. Auf der anderen Seite verzog Simon per Freistoß aus dreißig Metern. Aus dem Spiel heraus waren sie zu harmlos, trotz inzwischen spielerischem Übergewicht und mehr Ballbesitz. Aber sie machten sich durch Ungenauigkeiten vielversprechende Situationen selbst kaputt. Um Racibórz in Schwierigkeiten zu bringen, war das zu wenig. Dabei waren weniger die drei „echten“ Neuen dafür ausschlaggebend, denn Engel, Wich und Bagehorn fügten sich gut ein. So richtig hatte sich das Team noch nicht gefunden, was nach knapp 130 Testspielminuten auch kaum verwunderte.
Erstmals gab es eine HSV-Chance aus dem Spielverlauf heraus in der 39. Minute. Jessica Wich erarbeitete sich den Ball zurück und passte quer vor den Sechzehner. Kameraj legte direkt mit der Hacke für Simon ab, die aber musste sich das Leder erst auf den linken Fuß legen und verzog dann aus zwanzig Metern. Es ging mit dem 0:1 in die Pause. Nach dem Fehlstart hatten die Rothosen das Spiel im Griff und war defensiv besser auf Unia Racibórz eingestellt, aber es mangelte an Torgefahr. Klare Chancen: Fehlanzeige. Die Angriffe der RTB Unia waren häufig zu eindimensional. Ihre taktische Formation mit Dreier-Abwehrkette und zwei Stürmerinnen erinnerte stark an den ersten Bundesligagegner Turbine Potsdam, spielerisch jedoch waren auch bei den Polinnen zu viele Fehler drin, um den HSV wie beim Führungstreffer auszuspielen.
Beide Teams wechselten zahlreich zum zweiten Durchgang. Der HSV nahm vier Wechsel vor, darunter Torhüterin Saskia Schippmann für Bianca Weech und Silva Lone Saländer, die ihren Vertrag bei den Rothosen kürzlich verlängerte anstelle von Carolin Simon. Unia Racibórz wechselte sogar sechs Mal.
Zu Beginn jedoch trat Schiedsrichterin Herrmann in den Vordergrund. Nach einem Foul von Katarzyna Krupa an Saländer bemängelte Bagehorn verbal die Spielweise der Polinnen, die sich viele Fouls leisteten, die mitunter mit einer für Freundschaftsspiele unangebrachten Intensität durchgeführt wurden, und den Umgang der Spielleiterin mit diesem Umstand. Die reagierte gereizt darauf und rief Bagehorn zur Ordnung. Auf Bagehorns Aufforderung, den Gegnerinnen mitzuteilen, sie sollen „nicht so reingehen“, antwortete die Schiedsrichterin schnippisch: „Tut mir leid, ich kann kein Polnisch!“ Über Englischkenntnisse von Jaqueline Herrmann ist nichts bekannt, doch offenbar strebt die junge Spielleiterin vom TuS Osdorf keine Karriere auf UEFA- oder gar FIFA-Ebene an…
Es dauerte zehn Minuten, bis auf dem Rasen wieder Sportlicheres in den Fokus geriet. Nach einer Ecke von Saländer köpfte die eingewechselte Nina Brüggemann, von Timmermann noch leicht behindert, rechts vorbei (55.). Eine Minute später konterte Unia schnell. Anna Zelazko, zur zweiten Hälfte eingewechselt, kam an den Ball, stürmte links in den Strafraum und zog im Fallen ab. Schippmann war zur Stelle.
Es ging hin und her. Jetzt war wieder der HSV an der Reihe. Saländer spielte links in den Lauf von Wich. Die gab flach in die Mitte, doch Timmermanns Versuch wurde von der kroatischen Nationalspielerin Iva Landeka abgeblockt. Es gab Eckball. Bagehorn brachte das Spielgerät hoch in den Strafraum, wieder kam Brüggemann zum Kopfball, und dieses Mal schädelte sie zum verdienten 1:1 ein (57.).
Die Rothosen hatten Oberwasser. Friederike Engel setzte sich rechts per Solo gut durch und passte in die Mitte. Ewers nahm den Ball an, wurde aber gestört, musste sich drehen und zog dann aus der Bewegung ab. Unia-Keeperin Marlena Janeczek fischte die Kugel aus der Luft (62.). Eine Minute später kam Janeczek nicht dran, als Bagehorn aus 23 Metern stramm abzog. Der Pfosten verhinderte das 2:1 für die Platzherrinnen. Danach begann die Wechselzeit im zweiten Durchgang, als Louisa Nöhr Jessica Wich ersetzte und eine Minute später Aleksandra Sosnowska für Katarzyna Krupa aufs Feld kam (64.). Drei Minuten darauf kamen Simon und Kameraj für Timmermann und Ewers. Kameraj ging in die Spitze, Simon dahinter.
Seit dem Ausgleich tat Unia Racibórz wieder mehr für das Spiel und hatte die nächste Gelegenheit durch einen Schuss von Natalia Chudzik aus 25 Metern, der das Tor aber klar verfehlte. Auf der anderen Seite setzte Freese einen Freistoß aus größerer Entfernung über die Querlatte. Gefährlicher wurde es für den HSV, als Zelazko aus 21 Metern abzog und Schippmann zur Ecke abwehrte. Die Parade der Nummer zwei wirkte allerdings etwas unsicher. Es schien, als würden die Polinnen in der Schlussviertelstunde den längeren Atem haben. Nach Steilpass von Zelazko schoss Laetitia, der zweite Neuzugang aus dem WM-Kader Äquatorial-Guineas beim polnischen Meister, über das Tor (75.).
In der Hälfte der Gäste gab es an der Seitenlinie wenig später die wohl unschönste Szene des Spiels. Im Zweikampf wurde Simon zweimal hart angegangen, ohne dass die insgesamt nicht gut pfeifende Schiedsrichterin das sanktionierte. Simon verlor erst den Ball und dann die Nerven, als sie nachsetzte und ohne Chance auf den Ball ihre Gegenspielerin per Revanchefoul umsenste. Herrmann zückte sofort Gelb – angesichts des Tritts, der eindeutig nur den Beinen der Polin galt und nicht dem Ball, eine sehr wohlwollende Betrachtung. In der Bundesliga wäre sie für diese dumme Aktion, für die sich sich später bei ihrem Trainer entschuldigte, direkt vom Platz geflogen. Es war aber auch ein Symptom für die eher „nigerianische“ Zweikampfführung des Champions League-Teilnehmers.
Dass Carolin Simon auf dem Feld bleiben durfte, hatte für den HSV nicht nur den einen positiven Aspekt, nicht in Unterzahl zu geraten. Simon war es auch, die die nächste Ecke in der 78. Minute flach in den Strafraum flankte. Kameraj versuchte, das Leder Richtung Tor zu lenken, aber Janeczek wehrte zunächst ab. Die Abwehr bekam den Ball nicht raus, Kameraj stocherte nach, und aus fünf Metern kullerte der Ball zum 2:1 ins Tor. Eine kuriose Szene.
Noch kurioser war es in der 82. Minute. Vom eigenen Strafraum leitete Saländer einen Konter ein, der über Haye und Wich in die polnische Hälfte getragen wurde. Wich gab weiter zu Kameraj. Nach kurzem Antritt schickte sie Simon auf links. Der nachfolgende Ball – sei es Flanke oder Torschuss – senkte sich aufs lange Eck. Janeczek klatschte mit einer Hand ab, genau vor die Füße von Louisa Nöhr. Die hätte es sofort selbst machen müssen, zögerte jedoch zu lange und konnte dann nur noch auf Kameraj zurücklegen, und deren Schuss aus zwölf Metern wehrte Janeczek mit dem Fuß ab. Den nachfolgenden Ringkampf mit der slowakischen Nationalspielerin Katerina Istokova verlor Kameraj auf Grund eines Freistoßpfiffes (82.).
In der Schlussphase passierte nicht mehr viel. Der Kräfteverschleiß durch das Trainingslager war bei Unia Racibórz schon über weite Strecken des zweiten Durchgangs zu beobachten, aber auch dem HSV fehlte zu diesem Zeitpunkt noch die Ausdauer. Bis auf einen Tritt von Aleksandra Sosnowska gegen Saländer, für den die Polin die Gelbe Karte sah, gab es keine bemerkenswerte Szene mehr. Der Sieg des HSV ging in Ordnung. Sie drehten die Partie nach dem frühen Rückstand mit einer Leistung, die man bei diesem Vorbereitungsstand aber noch nicht zu stark bewerten darf. Dementsprechend hielt sich die Unzufriedenheit bei Achim Feifel auch in Grenzen, obwohl er einige Dinge gesehen hatte, die ihm nicht gefallen hatten. Bis zum 21. August, wenn die Partie beim Deutschen Meister im Karl-Liebknecht-Stadion zu Potsdam angepfiffen wird, ist aber noch genug Zeit, das abzustellen.
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Statistik:
Hamburger SV: Bianca Weech (46. Saskia Schippmann) – Anna Hepfer, Janina Haye (46. Heike Freese), Henrike Meiforth (46. Nina Brüggemann), Friederike Engel (74. Henrike Meiforth) – Marisa Ewers (67. Carolin Simon), Aferdita Kameraj (46. Silva Lone Saländer) – Carolin Simon (46. Maja Schubert / 78. Jessica Wich), Marie-Louise Bagehorn (71. Janina Haye), Maike Timmermann (46. Aferdita Kameraj) – Jessica Wich (63. Louisa Nöhr)
RTP Unia Racibórz: Marlena Janeczek – Alicja Pawlak (46. Donata Lesnik), Leonarda Balog (46. Marta Mika), Hanna Konsek – Natalia Chudzik, Katarzyna Krupa (65. Aleksandra Sosnowska), Patrycja Pozerska (46. Anna Zelazko), Ivana Bojdova (46. Katerina Istokova) – Iva Landeka – Gloria Chinasa Okoro (46. Laetitia Chapeh Yimga), Agata Tarczynska (46. Patrycja Wisniewska)
Schiedsrichterin: Jaqueline Herrmann (TuS Osdorf) mit Katrin und Kristina Nicolai (beide Duwo 08)
Tore: 0:1 Chinasa (7.), 1:1 Brüggemann (57.), 2:1 Kameraj (78.)
Gelbe Karten: Simon (76.) / Sosnowska (88.)